Charlotte Leander, Anweisungen zur Kunststrickerei, 1843

nun bin ich in Riga und streife durch die Strassen, Bilder kann ich diesmal nicht einfügen, weil ich mit Tablett und nicht Notebook unterwegs bin und ich kann die Bilder von der Photo-Karte nicht einlesen. Mach ich nie wieder, die kleine Tastatur vom Tablett nervt auch.

Heute nachmittag ist die Veranstaltung zum Erscheinen des Buches, ich habe es hier schon in einigen Buchläden stehen sehen, es ist wirklich sehr schön geworden.

Wenn ich von der Reise zurück bin (sind ja nur 3 Tage) werde ich ausführlich berichten

Diese Bücher habe ich von der Reise im November mitgebracht. Auf Ravelry habe ich sie auch schon vorgestellt, und hier hole ich das nach, bevor ich morgen wieder losfliege...

Ich habe neue und auch sehr alte Bücher geerntet, aber noch nicht alle in der gebotenen Tiefe studieren können, vorstellen möchte ich sie jedoch schon einmal. 

Buch Nummer 1:
Silmkoe-Esemed Silmkoe-Esemed
Eesti Rahvakunst I (Estonian Folk Art I)
Ediitorial Board: V. Kalits, K. Konsin, A. Luts,. A. Peterson
Kirjastus - Kunst - Tallinn 1972, 170 Seiten, kein ISBN, Auflage: 8000

Dieses Buch zeigt Exponate aus dem Ethnographischen Museum der Sowjetischen Republik Estland. Es enthält auch eine Zusammenfassung des Inhalts in russisch und deutsch sowie einige Musterzeichnungen.

Gezeigt werden: Nadelbinden-Objekte, bunte Handschuhe, Fingerhandschuhe, Socken und Strümpfe, Jacken und Schals aus Haapsalu. Und mein Lieblingsmuster ist auch wieder dabei:

Handschuhe mit dem Sonnen-Muster

Rechts: Handschuhe mit dem Sonnen-Muster

Buch Nummer 2:

Mulgi kirikindad ja kirisukad

Mulgi kirikindad ja kirisukad


Mulgi kirikindad ja kirisukad

Patterned Mittens and Stockings from South Estonia (Mulgimaa)
Zusammengestellt von Saks
Staatlicher Verlag Estland, 1960, Auflage: 3000
87 Seiten mit 186 Charts und 47 Seiten mit Mustern, Schemata und Photographien

Das ist ein tolles Buch! Es zeigt Stücke aus Zentral-Estland, der Region südlich von Villjandi und es enthält auch wieder recht ausführliche Zusammenfassungen in russisch und deutsch.

Dicke Waden!

Dicke Waden!

In der Region waren dicke Waden früher sehr geschätzt und so erklären sich auch diese extremen Socken / Wadenstulpen! Und noch etwas Besonderes: es werden auch detaillierte Angaben zu verschiedenen Techniken gemacht und aufgezeigt, wie hier diese unterschiedlichen Sockenfersen

Verschiedenste Fersentechniken

Verschiedenste Fersentechniken

Ja, diese Bücher muss ich noch intensiv studieren, zum Glück habe ich ja ein englisch-estnisches Strickwörterbuch zur Hand.

Die anderen Bücher, die ich hier aufliste, waren etwas preiswerter ;=)
kampsunid

Kampsunid (Pullover)
Autor:Liivia Kivilo
Tallinn, Verlag: Mats, 1993, 55 Seiten
ISBN: 9985-51-004-6

das ist ein kleines Heftchen einer Autorin, die etliche solcher monothematischen Hefte herausgegeben hat, und es enthält neben grundlegenden Anleitungen auch detaillierte Maßtabellen und weitere nützliche Informationen.

Estnische Socken und Handschuhe
Eesti kindakirjad ja sokikirjad
Estonian mitten and sock patterns
Autoren: Irina Tammis, Elo Lutsepp
Verlag: Tammerraamat, Tallinn, 2014
160 Seiten, ISBN: 9789949526116

Recht neu und doch schon reduziert in den Buchläden, statt 26€ habe ich knapp 9€ dafür gezahlt und man kann es auch günstig im Rahva Raamat Online-Shop bestellen.
Es enthält genaue Anleitungen, Charts und schöne Photos aus verschiedenen Museen Estlands.

SokikirjadEsiemade pärandist inspireeritud sokikirjad
Socken - inspiriert vom Erbe unserer Vorfahren
Autoren: Leili Karu, Monica Leinberg, Ülle Palusaar u.a. 
Tallinn, Fookus Meedia, 2014
48 Seiten, online bei  http://www.apollo.ee
ISBN: 9789949477289

Dieses Buch mit 15 bunten Sockenmustern habe ich von LizzyMaile geschenkt bekommen, das "Zwillingsbuch" dazu mit Handschuh-Anleitungen sah ich nur in Online-Shops, aber nirgends in einer Auslage.

Maruta Grasmane: Mittens of LatviaSo, das sind ein paar, die wichtigsten der Bücher, die ich von der Reise mitgebracht habe.

Jetzt konzentriere ich mich erst einmal auf das Buch Mittens of Latvia: 178 Traditional Designs to Knit, die englische Ausgabe des Handschuh-Buches, das mich erst richtig auf die Spur der baltischen Muster gebracht hat. Morgen fahre ich nach Berlin und übermorgen fliege ich dann nach Riga. Am Freitag wird das Erscheinen des Buches mit einer Party im Sena Klets-Zentrum gefeiert!

Und am Samstag wird eine Ausstellung von traditionellen Wintertrachten eröffnet, ich werde also wieder volles Programm haben!

Damit ich für den Winter gerüstet bin, habe ich mir aus Anlaß dieser Reise Wadenwärmer gestrickt:

Wadenwärmer / Legwarmer mit einem lettischen Muster

Wadenwärmer / Legwarmer mit einem lettischen Muster

Legwarmer klingt einfach netter als Wadenwärmer..  ein Handschuhmuster aus Kurzeme, Rucava, von der Seite 370 aus dem Buch Latvieša cimdi

Da wollte ich jetzt mal so richtig bunte knallviolett-rosa-gelbe estnische Strümpfe stricken
Muhu Strümpfe

So wie diese schönen Strümpfe hier..

und da flattert eine Einladung ins Haus, der ich nicht widerstehen kann.

Maruta Grasmane: Latviesa Cimdi

Maruta Grasmane: Latviesa Cimdi

Am 11.12. ist Bücherparty zum Erscheinen der englischsprachigen Ausgabe der lettischen Handschuhe in Riga in Senaklets und ich fliege hin!

Latvieša Cimdi erscheint jetzt endlich auf englisch und wenn wir Glück haben wird es auch eine deutsche Ausgabe geben.

Tja, so schnell geht das alles und plötzlich komme ich wieder auf den Weihnachtsmarkt in Riga, ins Hotel Konvent Seta, und zum Pfannkuchenbäcker...

Aber das Wichtigste wird die Buch-Party sein, das ist klar.

Ich werde natürlich wieder hier auf der Wockensolle berichten.

Die Reise geht zu Ende und ein Highlight bleibt noch: ich möchte so gerne die Insel Muhu besuchen. Eine Insel, die für die farbenfrohe Stickerei und Strickerei bekannt ist, deren grellbunte Farben (gelb, lila, pink) mich erst abgeschreckt haben, die ich aber inzwischen in diesem Zusammenhang sehr gerne mag.

In Haapsalu kommen wir auf unserer Fahrt nach Virtsu am Bahnhof von Haapsalu vorbei und ich bin fasziniert. Dieser Bahnhof wurde gebaut für die russischen Sommerfrischler aus St. Petersburg im 19. Jahrhundert und ist einer der ersten russischen Bahnhöfe (nein, nicht der erste, der ist in Zarskoje Selo / Puschkin bei St. Petersburg!). Der Bahnhof ist wunderbar erhalten / renoviert und einige herrliche alte Lokomotiven stehen dort. Das fasziniert mich, denn ich habe einmal auf der Fahrt von Moskau nach Vilnius in Minsk einen riesengroßen "Sammelbahnhof" für alte Lokomotiven gesehen, und halte seither nach solchen Maschinen Ausschau.

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Auf die Insel Muhu reist man mit einer Fähre, fast stündlich gibt es Verbindungen und alles geht reibungslos vor sich.

Fähre in Virtsu

Fähre in Virtsu

Nach kurzer Fahrt ist man auf der Insel und das ist eine große Freude für mich. Ich habe schon soviel bunte Stoffe / Trachten / Stricksachen gesehen, es gibt so schöne Bücher, und nun bin ich endlich hier! Als Erstes möchte ich zum Muhu-Museum im Ort Koguva, am anderen Ende der Insel.

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Hier sehe ich auch zum ersten Mal in Estland Schafe, sie gehören zur Farm Vanatoa, wo man auch sehr schön Urlaub machen kann. Die Schafe sind zwar neugierig aber nicht zutraulich. In Estland gibt es so gut wie keine Schafe mehr, nach dem wirtschaftlichen Zusammenbruch in den 90ern und seit der Unabhängigkeit wurde Landwirtschaft nicht mehr gefördert und war nicht mehr rentabel. Das Land, das seine Zukunft eher virtuell sieht (immerhin ist Estland IT-Weltmeister) hat kein sonderlich großes Interesse an der Landwirtschaft und erst seit dem Eintritt in die EU gibt es Fördermittel und Subventionen. Ich habe hier ja schon das KnowSheep-Projekt vorgestellt, das zur Wiederbelebung der Schafzucht in Estland angestoßen und von der EU im Rahmen der LEADER-Projekte finanziert wurde, eines der Zentren dieses Projekts ist auf der Nachbarinsel Saaremaa.

Weiter geht es und ein Wegweiser mit dem inzwischen bekannten Lockwort Käsitöö lockt zur Männiku Käsitöötuba, einem Handarbeitszentrum. Wir fahren aber weiter zum Museum.

Das Dorf Koguva ist ein richtiges Dorf, nicht nur eine Streusiedlung mit einem Bauernhof mal hier und mal dort. Hier lebten Fischer und Bauern und sie haben reiche Häuser, zwischen alten Obstbäumen versteckt, hinter moosgrünen Steinmauern. Sehr romantisch und anheimelnd. Altes Boot in Koguva

Bei einem Rundgang kommen wir bei diesem imposanten Herren samt Krähe vorbei und genießen in seiner Gesellschaft den Ausblick auf das Meer und die Nachbarinsel.

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Juhan Smuul ist in Koguva geboren und lebte hier, er war ein anerkannter Schriftsteller der Sowjetunion und seine Bücher, in denen er entweder seine Reisen oder eben das Leben auf Muhu beschreibt, wurden zu DDR-Zeiten auch in die deutsche Sprache übersetzt. Heute ist der Hof seiner Familien das Zentrum des Muhu-Museums und im Wohnhaus gibt es auch eine Ausstellung seiner Bücher.

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Im Museum besitzt eine interessante Textilsammlung, aber die stelle ich in einem separaten Artikel vor. Ich unterhalte mich lange mit Eda Maripuu, der wissenschaftlichen Mitarbeiterin des Museums und erwerbe auch das Recht, Photos in der Sammlung zu machen und diese zu veröffentlichen, wie gesagt, in einem separaten Artikel.
Dass die heutigen Trachten heute noch getragen werden, zeigt dieses Photo von einer Veranstaltung auf Muhu.

Solche wunderschönen Strümpfe sind auch im Museum zu sehen und ich muß sie im kommenden Winter unbedingt nachstricken!

Ich frage natürlich auch, wo ich auf der Insel denn Wolle kaufen könne und Eda  Maripuu gibt mir den Tip, in Piiri im Handarbeitsgeschäft nachzuschauen. Das sei wohl auch um diese Jahreszeit geöffnet.  Also schauen wir da vorbei, aber erst einmal schauen wir uns noch weiter auf der Insel um und fahren auf dem Damm, der Muhu mit Saremaa verbindet, auch zur Nachbarinsel. Für diese Insel reicht unsere Zeit aber nun wirklich nicht, zuviel gibt es dort zu sehen und ich bin ja auch nicht zum letzten Mal in Estland!

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Die Orientierung auf der Insel fällt leicht, mehrere dieser pittoresken Informationstafel sehen wir, alle schön muhu-mäßig gestaltet, und auch die Supermärkte machen Eindruck mit dem Muster-Band um das Gebäude.

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Pirii erscheint mir gar nicht als richtiger Ort, die  meisten Gebäude sind in einem schlechten Zustand, eine aufgegebene LPG eher. Der riesige Getreidespeicher und die alten ausgedienten Feuerwehrfahrzeuge wirken in dem Herbstlicht malerisch, aber eigentlich ist es traurig.
In dem kleinen Häuschen mit der Aufschrift Käsitöö jedoch ist es freundlich und anheimelnd, der Ofen bollert und die alte Dame legt ihr Strickzeug beiseite und zeigt mir das Angebot. Ich frage sie auf russisch nach Wolle, шерсть ?, und sie zeigt auf die Strickwaren, все из шерсти, alles aus Wolle! Нет, я хочу, чтобы вязать себя, nein ich möchte selbst stricken!  Da holt sie eine kleine Schale mit lauter kleinen bunten Knäueln in den Farben von Muhu hervor und ich freue mich. Wieder ein Vorrat, der gestrickt werden will!

Am Arbeitsplatz

Sie hat gerade ein paar Pulswärmer angeschlagen und wie man sieht, einige Berechnungen dazu gemacht, warum aber hat sie beide Seiten gleichzeitig begonnen? Meine Frage erstaunt sie, es sei doch viel einfacher so zu stricken, da braucht man nicht die Reihen zählen und aufschreiben und die Stücke werden wirklich gegengleich!

Ich verabschiede mich von der alten Dame, die gleich wieder zum Strickzeug greift und wünsche ihr einen guten Winter. Diesen Besuch werde ich sicherlich nicht so schnell vergessen, welch kleines Juwel, welch zäher Wille in dieser doch recht traurigen Umgebung!

In Liiva, dem nächsten Ort mit dem schon bekannten Supermarkt, ist in der alten Molkerei eine Tourismusinformation untergebracht, eine Weberei und ein Handarbeitsladen. Jetzt, im November ist es recht ruhig hier und die Werkstätten scheinen geschlossen. Im Café aber, das auch als Tourismusinformation dient, gibt es Bücher zum Schmökern, Prospekte, Schnitzereien aus Wacholderholz und wie fast überall in Estland, sehr leckeren Kuchen. Und ich entdecke in einer Steige große Brote mit einer muhu-lilafarbenen Banderole:

Brot aus Muhu

Brot aus Muhu

Handschuh aus Muhu

Handschuh aus Muhu

Brot heißt auf estnisch leib, das ist also ein Leib-Laib!

Auf der Banderole sind typische Muhu-Muster gezeichnet, die ich doch schon auf Handschuhen im Museum gesehen hatte!

Dort hatte ich auch gelernt, daß mit dem Aufkommen der synthetischen Wollfarben sich auch die Muster änderten, hin von den tradierten Symbolen zu Tier- und Pflanzenmustern und hier eben zu Katzen.

Ich habe ja nun ausreichend bunter Wolle in den typischen Farben dieser Insel, da werde ich demnächst auch so etwas schönes anfertigen.

Das Brot selbst wurde zum Mitbringsel für meine Neffen in Berlin, ich habe mir die Banderole gesichert.

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So, das war mein erster Ausflug auf die Insel Muhu, ein Tag voller Eindrücke, Erlebnisse und Begegnungen.

Die Ethno-Socken im Supermarkt fand ich jedenfalls bei weitem nicht so schön wie die handgestrickten traditionellen Strümpfe hier.

Links:
Das Muhu-Museum || Knowsheep-Projekt || Vanatoa-Farm || Stickereien aus Muhu ||

Nobedate näppude linn Im estnischen Online-Filmarchiv bin ich auf diesen kleinen Film über das Leben in Haapsalu im Jahre 1937 aufmerksam geworden, und man darf ihn sogar auf der eigenen Webseite einbinden!

Diese Frauen haben ununterbrochen gestrickt... beeindruckend!

Video der Estonian Movie Database

Seit drei Jahren gibt es das Spitzenzentrum in der Karja-Straße in Haapsalu und es hat vielfache Aufgaben: es ist Museum, Geschäft, Treffpunkt und Schulraum.

Pitsikeskus, das Spitzenzentrum

Pitsikeskus, das Spitzenzentrum

Seit ich von diesem Zentrum gehört und die wunderbaren Schals gesehen habe, wollte ich dieses Zentrum besuchen und dafür bietet sich am besten ein Dienstag an, denn am Dienstag nachmittag treffen sich hier Damen jeden Alters zum gemeinsamen Stricken, Plauschen und auch zum Lernen, denn es werden immer wieder Kurse oder Vorführungen für jedwede Handarbeitstechnik durchgeführt.

Am Vormittag hatte ich mich schon im Laden umgesehen und die ausgestellten Tücher, Schals etc. bewundert, mich beim Kauf von Garn zurückgehalten und auch kein fertiges Tuch erstanden, denn ich möchte mir ja selber ein Tuch oder einen Schal stricken.

Neben den traditionellen Tüchern und Schals werden auch Puppenkleider gezeigt und Lampenschirme, alles was sich bestricken läßt... Interessant sind die Musterbücher und die Muster-Sampler, eine ganze Wand ist mit gerahmten Samplern samt Strickschrift gefüllt.

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Als ich zum Stricktreff eintreffe, werde ich auch gleich den versammelten Damen vorgestellt und eingeladen, mir alles genau anzusehen und meine Fragen zu stellen.  Anne Rekkaro kommt gleich auf mich zu und beginnt ein Gespräch mit mir. Sie spricht fließend Deutsch, denn sie wurde als Deutsche geboren und wurde 1946 von einer estnischen Familie adoptiert. Ihre Mutter und Geschwister waren verhungert und sie selbst wurde nur durch großes Glück vor dem gleichen Schicksal bewahrt.

Anne Rekkaro

Anne Rekkaro

Ihre Lebensgeschichte und ihre Haltung beeindrucken mich und so sprechen wir nicht nur über Spitzentücher, Wolle und Stricken. Wir tauschen uns auch über Literatur aus und sie erzählt mir von ihren Reisen nach Deutschland, Kaliningrad und anderswo. Gerade war sie in Helsinki auf der Arts and Crafts Fair 2015 und fällte kein gutes Urteil darüber. Das sei alles auf Kinder-Niveau gewesen... ja, Esten sind ein anderes Niveau gewohnt!
Sie beantwortet alle meine Fragen und erklärt mir, warum die Spitze aus Haapsalu so eine hohe Qualität hat. Gearbeitet wird wie immer, keine Rundnadeln, Holznadeln, keine angestrickten sondern angenähte Umrandungen..., es werden aber kontinuierlich neue Muster erfunden.
Und die Strickerinnen und Stricker lernen Stricken schon in der Schule, sie wachsen mit dieser Kulturtechnik auf. Kurse, Wettbewerbe, Ausstellungen und der alljährliche "Spitzen-Tag" Ende August fördern die Popularität. Neue Bücher, die meistens zweisprachig gehalten sind, in Estnisch und Englisch, verbreiten die Kunst ebenfalls.

In den schlechten Jahren während der Sowjetzeit, als es wenig zu kaufen gab, oder die Waren für estnische Durchschnittsverdiener unerschwinglich teuer waren, mußte man improvisieren. So erzählt mir Anne, wie sie aus zwei abgetragenen Winterpullovern einen neuen zusammensetzte, in rot und weiß, Wolle für einen neuen Pullover konnte sie sich nicht leisten oder es gab keine zu kaufen. Aber die Esten strickten trotzdem und oft bekamen sie Strickaufträge von Russen, die auch die Wolle lieferten, und konnten sich so etwas dazuverdienen. Ab und an gab es kleine Probe-Läppchen von Wollfabriken, die sie sorgsam aufribbelten und das Garn dann für ihre Zwecke verstrickten. Diese schlechten Zeiten sind vorbei. Zum Glück.

Nancy Bush: Knitted Lace of EstoniaAasa sallid. Knitted Shawls of Aasa Jõelaid

Nancy Bush, die dem Zentrum sehr verbunden ist, soll hier nicht unerwähnt bleiben, ihr Buch Knitted Lace of Estonia ist ja wirklich ein Bestseller. Und in diesem Sommer ist das Buch Aasa sallid. Knitted Shawls of Aasa Jõelaid, dessen englischsprachigen Teil Nancy Bush editiert hat, herausgekommen.

Aasa Jõelaid

Aasa Jõelaid im Gespräch, immer mit Strickzeug!

Aasa Jõelaid hat das Muster für den Queen Silvia Shawl entwickelt und es heißt sie habe bereits mehr als 1300 Schals oder Tücher gestrickt. Da kann ich nur den Hut ziehen! 
Mir gefällt an ihrem Buch besonders, daß sie auch Tricks und Kniffe zeigt. Die werde ich sicher noch öfter studieren.

Bei all dieser versammelten Strick-Kompetenz war ich schon vom Zuschauen und vom Gespräch mit Anne glücklich, daß ich keine Nupps stricken mag / kann, brauchte ich diesen Meisterinnen ja nicht auf die Nase zu binden. Nun, Anne hat mir als Grundsatz für gelingendes Stricken ja beigebracht, daß man aufmerksam und diszipliniert arbeiten solle. Da werde ich doch diese Nupps auch noch lernen... Ich habe mir vorgenommen, im nächsten Sommer nach dem Craft Camp noch einmal nach Haapsalu zu reisen und dann werde ich mich sicher mit ihr verabreden. Und bis dahin übe ich Nupps.

Nein ich kaufe keine Wolle mehr

Nein ich kaufe keine Wolle mehr

Diese Liste mit Unterschriften hängt im Zentrum in der Nähe des Verkaufstresens. Die Unterschreibenden erklären damit ihren Willen, keine neue Wolle zu kaufen ehe die eigenen Vorräte aufgebraucht sind. Welch ein Vorsatz!

Zum Schluß dieses Berichtes noch eine ausführliche Bilder-Galerie und ein paar Links.

Die Webseite des Lace-Centers (leider nur auf estnisch): http://www.haapsalusall.ee/
Ein Porträt von Aasa Jõelaid: http://meistrid.edicy.co/laanemaa/aasa-joelaid
Eine Webseite mit Lace-Mustern, nicht mehr weitergeführt, aber voller Inhalt: http://newlace.blogspot.de

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Und nun bleibt eigentlich nur noch ein Highlight dieser Reise: ein Ausflug zur Insel Muhu...

 

Nun sind schon 2 Wochen vergangen seit meinem Besuch in Haapsalu und in der Rückschau beweist sich, daß der Aufenthalt dort wirklich ein Highlight der Reise war.
Das Städtchen hat viel zu bieten: eine beeindruckende Burg, die Meerespromenade mit dem wunderschönen Kursaal, ein herrlicher Bahnhof mit tollen uralten Lokomotiven, Caféhäuser, Kunsthandwerksläden, Buchgeschäfte und, ja vor Allem: und das Pitsikeskus, das Spitzenzentrum, Museum, Laden, Treffpunkt!

Und so wie ich etliche Tage mit Vorfreude im Bauch unterwegs war, werde ich erst die geschilderten Highlights hier vorstellen, bevor ich meinen Besuch im Pitsikeskus schildere!

Natürlich habe ich morgens als Erstes nachgeschaut, ob das Zentrum, ein ehemaliges Kaufhaus,  geöffnet ist und war enttäuscht. Ein Schild im Fenster teilt mit:
Kuidas ema, nõnda tütar - 20.10.  - 14.11.
Ich kann ja nun kein Estnisch, und interpretiere das vollkommen falsch, ich glaube zu verstehen, daß das Zentrum vom 20.10. bis 14.11. geschlossen sei! Entsprechend schlecht ist meine Laune, da bin ich soweit gereist und dann das... 

Pitsikeskus, das Spitzenzentrum

Pitsikeskus, das Spitzenzentrum

Also besichtigen wir erst einmal die Burganlage.

Die Burg von Haapsalu

Düster ragt die bie Burg über Haapsalu

und dann wieder: Das Burgmuseum ist geschlossen, in der Winterzeit nur freitags bis sonntags geöffnet.

Burgmuseum von Haapsalu

Burgmuseum von Haapsalu

Ach, ich hole mir den nächsten Frust: Auch das Museum an der Hauptstraße ist geschlossen! Welcome next summer, das nehme ich wörtlich! Ich komme wieder!

Und noch ein geschlossenes Museum

Und noch ein geschlossenes Museum

Nein, wir schauen uns erst einmal den Ort an.

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Als wir dann zum Pitskikeskus zurückkehren, ist es geöffnet!
Das Schild im Fenster? Nun das weist auf die aktuelle Ausstellung hin: 'Wie die Mutter, so die Tochter'.
Es werden Handarbeiten einer Mutter und ihrer Tochter im Teenage-Alter gezeigt! Ich freue mich und bewundere diese Arbeiten, und das Pitsikeskus stelle ich im nächsten Beitrag dann gesondert vor.

Eine wunderschöne Jacke!

Ist das nicht eine wunderschöne Jacke?

Ein wenig Pech hatten wir schon auf dieser Reise: in Tartu ist das Estnische Nationalmuseum geschlossen und das Museum in Pärnu, das gleich drei interessante Ausstellungen (Created from Animals, Made of Wood und eine Ausstellung über Perlen) ankündigt, ist wie so viele Museen auf der Welt, montags ebenfalls dicht.

Handicraft Explosion ist der Oberbegriff der drei Ausstellungen, die ich nun leider nicht sehen kann, denn wir können nicht bis Dienstag warten: für den Dienstag habe ich mir einen festen Termin vorgenommen, das dienstägliche Strick-Treffen im Spitzen-Zentrum in Haapsalu. Also verschiebe ich den Besuch in Pärnu auf meine nächste Reise und wir machen uns auf den Weg nach Haapsalu im Nordwesten.

Landstraße in der Region Mugli

 

Wir fahren Richtung Viljandi und Olustvere, wo ich ja im Sommer schon mal gewesen bin. Jetzt im November ist alles ein wenig düsterer, wir halten uns nicht lange auf. Ich hätte Heinz gerne Anu Rauds Museum in Heimtali gezeigt, aber das ist Montags auch geschlossen.In Viljandi

Also fahren wir weiter, und die Landschaft wird immer ruhiger, die Besiedelung immer dünner.

Hier haben sich, wie ich dem Buch Mulgi kirikindad ja kirisukad (Gemusterte Handschuhe und Strümpfe aus Südestland (Mulgimaa)) aus dem Jahre 1960, das ich in Tartu im Antiquariat gefunden habe entnehme,  die Traditionen länger erhalten und die Stricksachen dieses Gebietes wie die übrige materielle Kultur bilden eine örtliche Sondergruppe.

Interessant ist, daß dieses Gebiet nocheinmal in einen östlichen und einen westlichen Bereich aufgeteilt werden kann: im westlichen Bereich wird mit sehr feinem Garn gestrickt, so z.B. weiße Strümpfe mit einem schmalen Musterstreifen. Im östlichen Teil hingegen seien die Garne gröber und die Garne anspruchsloser, dafür fand man hier dicke Waden immer besonders schön und so haben die Socken stark ausgebuchtete Wadenteile; was wohl zum Ausstopfen genutzt wurde?

Socken aus Tarvastu., 19. Jahrhundert

Das Buch werde ich später noch ausführlich vorstellen. Ein kurzer Stopp in Olustvere, ich zeige Heinz den Park, die Schule und die Workshop-Plätze und dann fahren wir weiter und genießen die spärlich besiedelte Landschaft.

In Olustvere

Achtung Elch!Immer wieder warnen Schilder vor Elchen, wir sehen aber keine, auch die Wölfe und Bären zeigen sich nicht, dafür haben die Störche richtig feudale Nester mit Stromanschluß und Isolation ;=)Ein elektrifiziertes Storchennest

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OrtseinfahrtszeichenAuch auf kleinen ungepflasterten Straßen kommen wir gut voran, ab und an ist eine verlassene, ruinöse Kolchose zu sehen, vereinzelte Gehöfte, wenig Dörfer.  Eigentlich gibt es fast keine Dörfer, nur benannte Siedlungsgebiete mit einer Kreuzung und ein paar Geschäften. Deshalb zeigen die Ortseinfahrtsschilder auch keine Ortsnamen an, ab und an steht der Name beim Ortsausfahrtszeichen, dann weiß man wenigstens wo man gerade gewesen ist ;=)

Schon im Dunkeln kommen wir in Haapsalu an, ein Ort, auf den ich mich schon lange gefreut habe, denn er ist weltberühmt für seine Spitzenstrickerei. Die wunderbaren Schals sind ja durch Nancy Bush in der ganzen Welt berühmt gemacht worden.
Nun ist aber keine Saison, viele Geschäfte und Restaurants geschlossen, also verschieben wir den Stadtrundgang auf den morgigen Tag, aber erst nach dem Besuch im Pitsikeskus, dem Spitzen-Zentrum.