14.12.2020 | StrickTraditionen und - Technik |
Das ist schon eine eigenartige Zeit. Die Zeit verrinnt, die Aussicht übers Land ist wie immer: grau, dunstig, neblig, regnerisch oder frisch, wenig Verkehr auf der Chaussee, wenig Leben um uns herum.
Stille. Aber eine eigenartige Stille.
Ich habe mein Tempo heruntergeschraubt, herunterschrauben müssen. Eine Routine-Untersuchung bei der Hausärztin ergab einen fatalen Eisenmangel und schlechte Blutwerte. Und dann brummt der Diagnose-Kreisel los, Lungenfunktionsprüfung, Blutdruck, 24 Stunden-Messung mit einem amoklaufenden Messgerät das mir den Arm abwürgt, gynäkologische Untersuchung und morgen Darmspiegelung.
Das ist nicht dramatisch, aber ermüdend. Ich kann mich mir nur schwer als blutarme Person vorstellen!
Also schone ich mich, stricke die letzten Weihnachtsgeschenke - diese allerdings in reduzierter Größe (anstelle der geplanten Pottmützen winzigkleine bunte Eierwärmer! und ähnliches Kleinzeug), lasse mich von den faulen trägen Katzen anstecken und lese, höre Musik, sehe schlechte Filme und studiere die Möglichkeiten meiner neuen Uhr, eine Uhr die fast alles messen kann was ich gerade wissen und beobachten muss, (Sauerstoffgehalt im Blut, Herzschlag / Minute, Blutdruck, Schlafverlauf, EkG) und tatsächlich, die Werte normalisieren sich.

Die nächste Zeit bleibt ruhig, kein Weihnachtstrubel, kein Besuch, keine Weihnachtsgans, wir lassen es ruhig angehen und ich werde wieder produktiver werden, die hessische Mütze weiter untersuchen, Pläne machen und meine gesammelten neuen aber antiquarischen Bücher studieren.
Ich habe soviel Glück gehabt, es ist mir gelungen, den eigentlich verschollenen Band "Kurzeme" aus der Dreierserie "LATVIEŠU TAUTAS TĒRPI", einem Standardwerk, aufzutreiben. Mitsamt der Schnittmuster. Wenn ich in Lettland nach diesem Buch fragte, in einem Buchladen oder beim Gada Tirgus, erntete ich immer nur ein Kofpschüttlen und den knappen Hinweis: "Antiquariat!"
Ich hatte lettische Tauschbörsen und Kleinanzeigen-Seiten durchforstet, ohne Erfolg. Aber beim ZVAB, dem zentralen Verzeichnis antiquarischer Bücher, bin ich fündig geworden!
Ein weiterer Glücksgriff war der Fund der zwei Bände "Norske Folkedrakter" der renommierten Volkskundlerin Aagot Noss. Die Ausgabe stammt aus dem Jahre 1970. Arne & Carlos hatten in einem ihrer Podcasts einen Band davon gezeigt und KnittingCeleste wies mich bei Ravelry daraufhin. Denn es war auch eine Zipfelmütze zu sehen.
Natürlich war dann mein Interesse geweckt und ich wollte dieses Werk unbedingt finden. War schwer.
Aber dann? Das norwegische Werk war in keinem norwegischen Online-Antiquariat aufzutreiben, ein holländisches Antiquariat jedoch hatte es im Bestand! Und nach 2 kurzer Zeit brachte mir unsere nette Postmeisterin das Paket.
Ich bewundere das Können und die Akkuratesse der beiden Trachtenmaler Joachim Frich und Johannes Flinto, die im 19. Jahrhundert die bunten Aquarelle schufen, jedes Detail herausgearbeitet, eine Augenfreude. Zu Ihrer Zeit gehörte die zeichnerische Ausbildung zum Studium der Wissenschaftler, in Deutschland habe ich das ja bei Albert Kretschmer und Ferdinand Justi auch schon bewundert.
Solche Bilder dokumentieren die Details der Trachten oftmals intensiver als es die Fotografie oft schafft.

Mir wird sicher nicht langweilig.
Ich habe auch noch nicht alle gotländischen Handschuhmuster aus "" von 1992 für mich mit StitchMastery fertiggezeichnet!
Ich lerne soviel beim Studieren dieser Muster, erkenne Ähnlichkeiten, sehe welche Muster im ganzen Ostseeraum verbreitet sind und mußmaße wo sie wohl zuerst gearbeitet wurden.
Dieses kleine Büchlein ist ein reicher Schatz, es enthält 41 alte schwedische Musterzeichnungen, die um die Jahrhundertwende 1900 herum gesammelt wurden.
Und noch ein ganz besonderes Vorhaben beschäftigt mich schon eine Weile, ein kleines Projekt, das ich auch einmal dazwischenschieben möchte:
In der Plebanatskirche in Gützkow, einem kleinen pommerschen Landstädtchen 5km von Gribow, ist der hintere Altarraum sehr schön ausgemalt. Mit einem sparsamen und flächendeckendenMuster. Mit leichten harmonischen Farben schafft dieses Netz aus Kreuzen eine Unendlichkeit - wohltuend.
Es bietet sich geradezu an für Handschuhe oder Strümpfe!
Auch dies ist wieder ein wanderndes Motiv, das man an vielen Orten findet. Denn es paßt gut auf große und kleine Flächen, es entsteht ein Netz mit geradezu entspannender Regelmäßigkeit und weiter im Osten des Ostseeraums, in Lettland, hat dieses Muster sogar einen Namen:
Es ist "Maras Kreuz", Es steht für Regelmässigkeit, Produktivität, es beschützt, segnet und bringt Glück.
Und da dachte ich, ich hätte nichts zu schreiben! Eine ganze Menge Themen schwirren in meinem Kopf herum, nicht nur die Pottmütze, ich brüte Ideen aus und lasse es langsam angehen.
Ich wünsche Ihnen allen eine gute Adventsszeit! Bleiben Sie gesund und passen Sie auf sich und alle anderen Menschen um Ihnen herum auf!
17.11.2020 | Baltische Traditionen, Pottmütze |
Eine lange stille Zeit, die scheinbar nicht zu Ende geht und doch sind mir die Tage immer zu kurz. Private Kontakte finden nicht mehr oft statt, aber dann genieße ich sie um so mehr. Welch ein Glück, das wir heutzutage soviele Möglichkeiten haben uns auszutauschen! Sei es im Strickforum Ravelry, per Mail, Messenger oder Telefon, wir sind nicht so isoliert wie wir es vielleicht selsbt einreden. Mit einem Päckchen eine kleine Freude bereiten, bei einem Strickproblem aushelfen oder stolz zeigen was man gestrickt hat - das alles ist möglich und gibt uns das Gefühl nicht alleine zu sein.
Heute morgen bekam ich eine freudige Nachricht: ein Päckchen, das ich am 12. Oktober in die USA abgeschickt hatte und dessen Sendungsverfolgung keinerlei Bewegungen meldete, kam jetzt endlich an! Nach 5 Wochen!
Ich weiß zwar daß die US-Post schlecht aufgestellt ist (wie man heute so gerne sagt) und andere Postsendungen wichtiger waren, aber daß die Übersee-Sendungen inzwischen per Ruderboot abgewickelt werden, das war mir neu...Aber jetzt ist es angekommen und ich bin erleichtert.
Und ich habe in der letzten Zeit immer mehr mit Freundinnen und Freunden im Ausland telefoniert, oft mit dem Facebook-Messenger, denn den benutzen nun einmal die meisten, oder mit WhatsApp und Skype, aber diese Dienste taugen nicht für alles: denn die/der Angerufene muß diesen Dienst auch nutzen, muss online sein und ehrlich gesagt, die Übertragungsqualität ist bei allen sehr oft ziemlich mies.
Ich habe trotzdem stundenlange Gespräche führen können in den letzten Wochen und diesen Tipp (keine Werbung!) möchte ich gerne weitergeben: eine deutsche Telefonie-Anbieterfirma ermöglicht das Telefonieren mit Handy- und mit Festnetzanschlüssen ohne SIM-Karte, per App im Handy, in 64 Länder dieser Erde (es werden mehr) und 100 Minuten pro Monat sind kostenlos; darüber kostet eine unbegrenzte Minutenzahl gerademal 4,99€!
Man selbst ist mit dieser App weltweit für Anrufe aus Deutschland erreichbar und momentan sind Anrufe in 64 Länder möglich! Satellite ist der Name, und auch wenn ich sonst ungern Werbung mache, diese App hat mir in der letzten Zeit sehr geholfen.
Ich habe einige Projekte auf der Nadel, einige davon sogar fertiggestellt! Ein kleines Babyjäcken für einen neuen Erdenbürger ist fertig, andere Projekte noch nicht: das second-sock-syndrom schlägt zu: ein Sockenpaar aus dem lettischen Sockenbüchlein wartet auf den zweiten Strumpf und dann stricke ich gerade Strümpfe, die mir schon immer gefielen, die ich schon immer stricken wollte und die nun schon fast fertig sind: Lettische Strümpfe aus der Region VecPiebalga in Vidzeme!
Die Musterzeichnung dazu findet sich in der aktuellen Sondernummer der lettischen Zeitschrift "Praktiskie Rokdarbi", genauere Musterzeichnungen aber in dem japanischen Buch "Hand Knitted Socks from Latvia".
Den ersten Strumpf habe ich bereits gewaschen und in Form gelegt und die Unterschiede zwischen dem geblockten und dem unfertigen Gestrick sind wirklich sehr sehr groß. Alles was hubbelig und knubbelig wirkt, wird glatt und schön!
Ich habe im Netz nach weiteren japanischen Strickbüchern gesucht, denn die sind fast immer sehr sehr illustriert und mit einiger Mühe kann man sich darin auch zurechtfinden, auch wenn mir der Inhalt des redaktionellen Teils meistens entgeht. Ich besitze solche Bücher über Shetland, Schottland, ein Buch über fünf Strickerinnen von der Insel Kihnu und eben auch das Buch mit den lettischen Socken.
Bei der Suche nach solchen Büchern nehme ich einen online-Übersetzer zur Hilfe und da ist mir doch neulich etwas ganz Eigenartiges, Seltenes vor die Augen gekommen:
Bosnische Ekel-Handschuhe! Finden Sie nicht auch?
Seit dem Zeitungsartikel über den Workshop bekomme immer noch Anrufe und Anfragen zur Pottmütze. Und auch Fotos. Ich habe in den letzten Tagen einen netten Brief mit kleinen Wollproben erhalten, von einer Spinnerin von der Insel Rügen, und ich werde diese Proben nun studieren ob sie sich für die Mütze eignen. Aber auch Photos habe ich gemailt bekommen und die sind so wunderbar, daß ich mir vorgenommen habe, in der Pottmützen-Abteilung eine Galerie der neu-erstandenen Mützen einzurichten.
Ich bitte Sie deshalb, wenn Sie schon eine solche Mütze fertiggestellt oder auf den Nadeln haben, mir Photos davon zur Verfügung zu stellen. Dafür habe ich ein Formular eingerichtet, mit dem Sie eine Grafikdatei oder auch eine ZIP-Archivdatei mit mehreren Bildern hochladen können. Ich binde diese dann in der neuen Galerie ein! Ich sage schon mal vielen Dank im Voraus!
11.11.2020 | Baltische Traditionen, Wockensolle
Eine sehr sehr ruhige Zeit. Mein Studienaufenthalt in Schönberg im Museum kann nicht stattfinden, der jährliche große Martinsmarkt in Tallinn (Mardilaat) ist in den virtuellen Raum verschoben worden, die Krankheit weitet sich weiter rasend schnell aus und die unselige Mischung aus Corona-Leugnern und Rechtsradikalen verheert die politische Landschaft.
Den mangelnden Respekt vor dem Leben und der Freiheit haben sie wohl von dem amerikanischen (Ex-)Präsidenten mit dem toten Tier auf dem Kopf übernommen. Am Tag der Reichskristallnacht, dem Tag des Gedenkens an die Opfer der deutschen Nazi-Herrschaft, will Pegida demonstrieren.
Die unheilige Allianz des Aserbeidschanischen Regimes mit dem Möchtegern-Sultan vom Bosporus bringt Krieg und Vernichtung nach Artsakh und Armenien, eine Region, die mir sehr am Herzen liegt und unsere Außenpolitik? Die schweigt dazu.
Es erscheint mir als ob alle bösen Geister entfesselt sind, als ob die Dummheit, Ignoranz und Aggression sich nunmehr ungehemmt ausbreitet, alle schlechten Eigenschaften der Menschen zu Tage treten können. Schon immer waren in Seuchenzeiten entfesselte Scharlatane, Kriegslüsterne und, ja auch, Frauenfeinde unterwegs, griffen Verschwörungstheorien um sich und verloren die Menschen alle Hemmungen. Kultur ist anscheinend nur eine dünne Schicht und verdeckt nur schwerlich Wahn und Agressionen, Wissenschaftsleugnung und Zynismus - ich empfinde diese Zeit gerade als Zivilisationsbruch.
Wir alle vermissen den Kontakt mit Freunden und Gleichgesinnten und ich muss mitansehen, wie einige Freundinnen in Depression fallen. Aber ich denke es geht nicht anders. Wir müssen vorsichtig sein, Corona ist eine schlimme Krankheit und wenn wir sie in unserer Umgebung angeblich nicht wahrnehmen dann ist das doch nur ein Zeichen dafür wie gut wir (im Gegensatz zu anderen Ländern und Regionen) bisher durch die mißliche Pandemie gekommen sind. Wir müssen die Krankheit verhindern und bekämpfen und dürfen sie nicht leugnen! Ich bitte Sie von Herzen, seien Sie vorsichtig und besonnen, passen Sie auf sich und auch auf die Menschen in ihrer Umgebung auf und bleiben Sie gesund!
Der Artikel über den Pottmützenworkshop in der Ostseezeitung hat große Wellen geschlagen, Ich erhielt viele viele Anfragen. Ob ich nicht eine Mütze verkaufen könne - oder eine Mütze stricken - das waren die häufigsten Fragen.
Und diese habe ich verneint. Ich habe die Anleitung erstellt und der Heimatverband MV stellt sie zusammen mit mir kostenlos zur Verfügung, ich möchte ja nicht den Rest meines Lebens ununterbrochen Mützen stricken, dazu habe ich noch zu viel vor! Aber es macht mich auch ein wenig traurig. Immer wieder bekomme ich zu hören, daß man eben leider nicht selbst stricken könne - ein Argument, das ich so nicht stehen lassen möchte.
Stricken kann man lernen. Es gab mal Handarbeitsunterricht, es gibt Kurse in den Volkshochschulen etc., die Buchläden sind voll mit Anleitungsbüchern für Anfänger und Fortgeschrittene, im Internet findet man Tausende Tutorials und Anleitungsvideos - also warum nicht sich hinsetzen und es versuchen? Neugierde ist eine gute Lehrerin! Und Selbstgestricktes ist allemal nachhaltiger als Zusammengekauftes! Warum sind so viele Menschen so zögerlich und nicht bereit, mal etwas auszuprobieren?
Ich wäre nicht so glücklich wie ich heute bin (trotz aktueller Eintrübungen), wenn ich nie etwas dazugelernt hätte, wenn ich nie neugierig gewesen wäre und mit Geduld geübt hätte.
Es gab aber auch wirklich wunderbare positive Rückmeldungen und Anrufe. Ich bin mit Spinnerinnen von der Insel Rügen ins Gespräch gekommen und Kontakte verfestigen sich. Und es gibt schon Anmeldungen für den nächsten Workshop in Rostock am 5. Dezember! Auf der Seite des Heimatverbandes MV gibt es dazu Informationen und ein Anmeldeformular. Wenn Sie sich dort anmelden, beantworten Sie bitte auch die Fragen. Der Workshop setzt einige Strickkenntnisse voraus!
So. Und eine kleine Neuigkeit noch: Aus Jux habe ich eine neue Domain eingerichtet: https://www.pottmuetze.de! Das ist aber zur Zeit noch nur eine Weiterleitung auf die Pottmützen-Seite hier bei der Wockensolle, vielleicht kann ich den Inhalt ja irgendwann weiter ausbauen.
Ich habe zu Anfangs schon geschrieben, daß der alljährliche Martinsmarkt in Tallinn dieses Jahr nur virtuell stattfinden konnte. Die Veranstalter haben eine Webseite gestaltet, auf der die Teilnehmer und Aussteller vorgestellt werden und auch Neuigkeiten veröffentlicht wurden. Diese Seite ist noch für einige Zeit online und wenn Sie sie in einem Browser öffnen, der Webseiten schnell und gut übersetzen kann (also z:B. Chrome), dann muss man auch kein Estnisch können um sich an dem interessanten Inhalt zu erfreuen.
In der Übersicht und den Vorstellungen der Aussteller, in dem Abschnitt "kudumit - knitwear" trifft man auf Külli Jacobson aus Setomaa und auf Riina Tomberg, die Handarbeitsvereinigung aus Haapsalu mit einer wunderhübschen Kaidi-Kätlyn auf dem Foto - ich kann sie nicht alle aufzählen!
Die unglaubliche Vielfalt des estnischen Kunsthandwerks diesmal also online - immerhin!
Kaidi-Kätlyn mit einem Schal aus Haapsalu!
Und jetzt einige Mardilaat-Videos, die mir besonders gut gefallen!
EIn Besuch in Riina Tombergs Geschäft im historischen Gewölbe des Hauses Pikk 22, dem Sitz der Estnischen Handarbeitsvereinigung!
Ich bin immer wieder bezaubert von ihren wunderschönen Kreationen!
Anu Randmaa aus Töstamaa stellt die estnische Stricktechnik "Roosimine" vor, eine Technik, bei der Faden der Kontrastfarbe nicht mitgestrickt wird sondern vor dem Strickstück quasi mitgewebt wird.
Ich hatte das Glück, beim Nordic Knitting Symposium 2018 einen Workshop mit Anu besuchen zu können und im letzten Sommer besuchte ich mit einer Gruppe des Craft Camps das Handarbeitszentrum in Töstamaa.
Dort sollten Sie unbedingt vorbeischauen wenn Sie in der Gegend sind!
Morgen binde ich noch weitere Videos ein, sie sind einfach zu interessant.