Charlotte Leander, Anweisungen zur Kunststrickerei, 1843

Von Angharad's Knitting Gloves  fand ich zur Seite der UK Knitting and Crochet Guild und dort gibt es eine kleine Liste mit Tipps zu besuchenswerten Museen.  Und da bin ich da mal losgebraust...

Das nun folgende Thema hat nichts mit Stricken zu tun, aber es geht um Stoffe, Schönheit und Wirtschaftsgeschichte, und das ist allemal interessant.

Das Harris Museum in Preston pflegt eine große Textil-Sammlung und birgt einen besonderen Schatz: The Textile Manufactures of India ein Stoff-Musterbuch in 18 Bänden, das 1866 von John Forbes Watson im Auftrag des „India Office” der britischen Regierung erstellt wurde. Trotz seines Titels enthält es nicht nur Stoffe aus Indien, sondern aus dem gesamten südostasiatischen Raum sowie Iran und angrenzenden Provinzen.

Von diesem Werk gibt es nur 20 Exemplare und es war als Information für Textilhersteller im Vereinten Königreich gedacht, zur Propagierung der indischen Textilien. Der Bedarf an Stoffen wuchs zu der Zeit, denn die Maschinisierung der Textilherstellung schritt stark voran und verlangte nach immer mehr „Rohstoff“. 13 Exemplare wurden an britische Städte mit Textilindustrie verteilt, 7 Exemplare an Handels-Zentren in Südostasien.

Powerloom weaving in 1835.jpg
"Powerloom weaving in 1835" by Illustrator T. Allom - History of the cotton manufacture in Great Britain by Sir Edward Baines,. Licensed under Public Domain via Commons.

Illustrations of the textile manufactures of indiaJede Seite in diesen Musterbüchern enthält ein 35 x 20cm grosses Stück Stoff und Informationen dazu: wo es herstammt, wie es getragen oder genutzt wurde, sowie Preis, Gewicht des Originalstoffes.

Diese Bücher sind in einigen britischen Museen einsehbar, aber sie sind auch online gestellt worden und es gibt eine eigene Webseite dazu: The Textile Manufactures of India.

Denn zu den Olympischen Spielen in London 2012 wurde ein kulturelles Programm angestoßen: Stories of the World. Das Harris Museum in Preston nahm ab 2010 daran teil und gestaltete die Ausstellung Global Threads: Asian Textiles & Fashion Today. In diesem Rahmen entstand auch die Webseite.

Jedes der Bücher ist auf der Seite einsehbar und jedes Stoffmuster wird mit allen zur Verfügung stehenden Informationen, auch einer Karte, die den Herkunftsort zeigt, präsentiert. Und alle Bände können bandweise, nach Material, Objekt, Herkunft, Muster, Technik oder Gebrauch durchsucht werden, ein unglaublicher Schatz!

Ich habe ja in den vorhergehenden Beiträgen über die indischen Handschuhe mit dem schönen Muster berichtet und deshalb habe ich hier mal nach den floralen Mustern gestöbert, 96 Funde!

Seidenstoff aus Meshed in Iran

Seidenstoff aus Meshed im Iran

Ob man nun nach Stoffen für Schals oder Segeltuch sucht, zu allem wird man fündig.

Wer nun auf den Geschmack gekommen ist: es gibt noch ein Buch von John Forbes Watson:

The Textile Manufactures and the people of India

Man kann dieses Buch entweder in verschiedenen Formaten herunterladen (ePub, Flipbook, Kindle, PDF) oder als ZIP mit allen Grafiken. Sie können die Bände aber auch online durchblättern und man kann es auch auf Webseiten einbetten:

So sehr wir uns freuen, daß diese Bücher zusammengetragen wurden und uns heute zur Verfügung stehen, sollte man doch auch die Auswirkungen auf die Textilproduktion der damaligen Zeit nicht unter den Tisch fallen lassen.

Denn als Folge dieser Propagierung indischer/asiatischer Muster übernahm die englische Textilindustrie immer mehr dieser Mustern und produzierte, zum Teil arg versimplifiziert, immer großere Mengen, mit schlimmen Auswirkungen: Die englischen industriell produzierten  Stoffe wurden in großer Zahl nach Indien exportiert und entwickelten sich,  da ohne Zölle eingeführt,  zu einer starken Konkurrenz der einheimischen Textilherstellung.
Dies führte in Indien zu mehrfachem Niedergang:

  • den einheimischen Textilmanufakturen wurde die Grundlage entzogen
  • sozialer Niedergang, Verarmung
  • Verlust der traditionellen Vielfalt

Trotz allem bleibt: die 20 Bände sind ein großer Schatz und das Projekt der Visualisierung zeigt die großen Möglichkeiten, die Museen bei entsprechender Unterstützung nutzen können.

So findet sich auf der Webseite des Projekts auch ein Beitrag über die Auswirkungen dieser Publikation:

Although it is possible to see Forbes Watson’s decision to cut up beautiful fabrics from the India Museum’s stores as an act of destruction, in many ways his wish to catalogue and circulate these fabrics has preserved them for future generations to study. We hope that this website will enable researchers to better understand the type of fabrics included in The Textile Manufactures of India, as well as the impact of this work on textile production in both Britain and South Asia.

Ich wünsche mir, daß auch deutsche Museen, und vor allem das Hamburger Völkerkundemuseum, das mir besonders am Herzen liegt, die notwendigen Mittel zur Aufarbeitung und Präsentation ihrer Bestände bekämen.