Charlotte Leander, Anweisungen zur Kunststrickerei, 1843

Am 3. Wolgaster Manufakturtag, im Stadtgeschichtlichen Museum, am  28.10.23, konnte der erste, von der CJD Produktionsschule Nord in Wolgast in Zusammenarbeit mit der Knüpferin Ulrike Sulk hergestellte Fischerteppich-Knüpfstuhl an das  Museum übergeben werden. Von der Idee zur Fertigstellung und Übergabe dauerte es gerade mal ein Jahr!

Ein großer Erfolg für die Bemühungen des Arbeitskreises "Traditionelle Textilien" im Heimatverband MV um das Fortleben der Vorpommerschen Fischerteppiche!
Die Fischerteppiche sind Immaterielles Kulturerbe und erfahren immer mehr verdiente Aufmerksamkeit.

Übergabe des ersten Fischerteppich-Knüpfstuhls im Museum Wolgast

v.l.n.r.: Citymanager Martin Schneider, Bürgermeister Martin Schröter, Knüpferin Ulrike Sulk, Holz-Werkstattmeister Roger Goldmann und zwei der beteiligten Schüler

Der neue Fischerteppich-Knüpfstuhl

Der erste der von der Produktionsschule Wolgast / Ausbildungsbereich Holz hergestellten Knüpfstühle

Ulrike Sulk am neuen Fischerteppich-Knüpfstuhl
Während des Manufakturtages hat Ulrike Sulk, die zusammen mit der Knüpferin Gisela Zeidler die Herstellung des Knüpfstuhls begleitete, den Stuhl gleich "aufgespannt" und die ersten Zentimeter eines neuen Fischerteppichs gearbeitet: nach dem Aufspannen wird der Rand gewebt, und erst danach kann mit dem Knüpfen begonnen werden.

Ulrilke lobte die gute Arbeit und die gute Qualität des Stuhles, und nun werden sicherlich noch mehrere hergestellt.

Einen der Stühle der ersten "Charge" habe ich mir reserviert, damit wir vom Arbeitskreis immer einen mobilen Knüpfstuhl für Demonstrations- und Workshop-Zwecke zur Verfügung haben.


Über die Teppiche habe ich hier auf der Wockensolle ja schon oft berichtet, hier zum Beispiel:

Vom Stricken, Socken, Reisen und Fischerteppichen unsd Vor Beginn der Reise und was noch davor und Vorpommersche Fischerteppiche sind nun immaterielles Kulturerbe

Fischer-Doppeldaumen-Handschuhe Versuch

Ich habe an diesem Tag Strickarbeiten gezeigt, die Pottmütze, Handschuhe. Strümpfe, um zum Handarbeiten zu verführen und über unseren Arbeitskreis zu informieren
Dabei zeigte ich auch meine Dümling-Versuche.

Ein Dümling ist ein Doppeldaumen-Handschuh, der von den Fischern der Nordmeere getragen wurde (ist die Handfläche beim Netz-Einholen nass geworden, dreht man den Handschuh auf der Hand einfach um und lässt die nasse Seite trocknen).

Ich experimentiere dabei: welche Stricktechnik? welcher Daumeneinsatz? In der Praxis wurden diese Handschuhe sehr groß gestrickt und bei der Arbeit und im Salzwasser filzte sie dann immer mehr zusammen und wurden immer fester.

Angeregt zu diesem kleinen Studienprojekt wurde ich durch den Doppeldaumen, der in der Trachtenvitrine im Wolgaster Museum liegt.
Mal sehen wann ein erster Prototyp wirklich fertig ist!

Das Volkskundemuseum Schönberg muß weiterbestehen!

Ist ein Museum erst einmal geschlossen, ist es verloren.
Das ist eine Binsenweisheit, belegt durch viele traurige Beispiele.

Die 2002 geschlossene "Völkerkundesammlung der Hansestadt Lübeck" ist war dafür ein gutes (besser: schlechtes Beispiel). Der dortige Sammlungsbestand ist war lange Zeit magaziniert und nur noch zu Forschungs- und Studienzwecken zugänglich.
Zum Glück ist sie heute (2024) wieder zugänglich.

Damit verschwindet die Sammlung aus dem Kulturleben, aus der Wahrnehmung, bietet keinen Bildungsanreiz mehr und kann dann irgendwann geschlossen werden. Weil sich ja niemand dafür interessiert…

Das gleiche Schicksal droht nun dem, ironischerweise in nächster Nähe gelegenen, gerade mal 15km Luftlinie von Lübeck entfernten Volkskundemuseum Schönberg.

Volkskundemuseum Schönberg
Volkskundemuseum Schönberg

Das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern ist nicht gerade mit herausragenden Museen gesegnet, und dieses Museum, gegründet 1903 als Altertumssammlung des Fürstentums Ratzeburg, ist mehr als ein Heimatmuseum, es ist ein Volkskundemuseum. Und es ist in Gefahr.

Allein der Name "VolksKundliches Museum" zeigt auf, dass es um mehr als das Sammeln und Dokumentieren von vorgefundenen Gegenständen und Gebräuchen geht ( => Heimatmuseum), es geht um die Kunde, das Verstehen, die Verbreitung dieses Wissens. Und damit, wie auch beim Heimatmuseum, um den Erhalt der vorgefundenen Lebens- und Sachkultur, der Alltagskultur.

Und das leistet das Volkskundemuseum Schönberg vorbildlich. Oder muss ich sagen, leistete?

Wollfest in Schönberg - das Wettspinnen beginnt gleich

 

Ob Bildungsangebote, Sammlung, Ausstellungen, Veranstaltungen im Haupthaus oder im Bechelsdorfer Schulzenhaus, Brotbacken im alten Backhaus, Norddeutsche Spinnmeisterschaft, Konzerte - ohne das Museum wäre die Stadt Schönberg, das Schönberger Land, die Region, MV ärmer. 

Getragen von einem Förderverein und immer wieder in finanziellen Nöten, immer wieder in seiner Existenz bedroht, ist nun eingetreten, was schon lange befürchet wurde: das Museum ist seit Mitte dieser Woche geschlossen, keine Öffnung für das Publikum, keine Veranstaltungen, Forschungsanfragen per Telefon oder eMail …

Der Vertrag zwischen der Stadt Schönberg und dem Trägerverein läuft zum Jahresende 2023 aus und es liegt ein Vertragsentwurf auf dem Tisch: 132.00€ bietet die Stadt dem Trägerverein an.

Laut Vertragsentwurf muss der Verein damit nun sämtliche Gebäude- und Sicherheitskosten sowie Sachkosten tragen und 82.000€ Miete / Jahr zahlen, statt dem bisherigen symbolischem Euro.

Die Stadt Schönberg übernimmt dann nur noch wenige Kosten:  gerade mal 4500 € / Jahr für die Versicherungen der Sammlung und der Häuser.

Das ist ein finanzieller Taschenspielertrick, mit dem das Museum nicht weiter betrieben kann. Und der zu der bitteren Entscheidung des Trägervereins, das Volkskundemuseum jetzt schon bis zum Jahresende geschlossen zu halten, geführt hat.
Wie geschrieben, ist ein Museum ersteinmal geschlossen, bleibt es das wohl auch.

Mit Olaf Both, dem bisherigen Museumsleiter, der seine Konsequenzen aus den jahrelangen Querelen um den Bestand des Hauses sicher nicht leichten Herzens gezogen und gekündigt hat, verliert die Stadt einen höchst fachkundigen und engagierten Museumsleiter, der es auf bewundernswerte Weise immer wieder geschafft hatte, die Kulturakteure aus der Region, die Bevölkerung und Gäste zusammenzubringen und das kulturelle Leben in der Stadt und darüber hinaus zu bereichern.

Der Arbeitskreis "Traditionelle Textilien" des Heimatverbandes Mecklenburg-Vorpommern fühlt sich dem Volkskundemuseum Schönberg sehr verbunden und fordert dessen Weiterbestand!

Mitglieder des Arbeitskreises kamen zu den Spinnmeisterschaften, Cornelie Müller-Gödecke hat einige wenige der wunderbaren Strümpfe aus dem Bestand des Museums bereits untersucht und nachgestrickt, und für den Winter 2023 / 2024 hatten wir einen mehrtägigen Aufenthalt in Schönberg eingeplant, um die Textilien im Bestand zu erkunden.

Claudia Krischer wollte die Strümpfe  fotografieren; Cornelie Müller-Gödecke hat vor,  weitere Strümpfe nachzuarbeiten und die Anleitungen dazu dem Museum zur Verfügung stellen.

Dies alles scheint nun unmöglich.

Der Kreis, das Land, alle relevanten Institutionen sind in der Pflicht, das Museum zu erhalten, die drohende weitere kulturelle Verödung zu verhindern.

Nicht nur daß es im gesamten Bundesland MV keinen Lehrstuhl für Volkskunde mehr gibt, jetzt soll auch das lebendige, wichtige Museum in Schönberg geschlossen werden?

Die Ostseezeitung schrieb im März 2023:

"Doch niemand hat nach Aussage von Bürgermeister Stephan Korn (Kommunale Wählergemeinschaft) wirklich ein Interesse daran, das Volkskundemuseum zu schließen."

Drei Flugstrecken, von Haugesund -> Oslo -> Helsinki -> Rovaniemi, brauchte es von Norwegen bis in den hohen Norden Finnlands und dementsprechend anstrengend war die Reise.
Aber was wurden wir belohnt!

Eine Busfahrt von Rovaniemi nach Inari am gleichnamigen See, rund 250km nördlich des Polarkreises, durch unendlich scheinende Wälder, und ab und ein paar wenige Rentiere am Strassenrand.
Bisweilen regnete es, der Himmel war grau, wunderschöne Blumen säumten die Strassenränder und erfreuten uns.

Wir hatten es geschafft. Wir fuhren ins Land der Sami, nach Sápmi, von Rovaniemi über Ivalo, dem Verwaltungsort der Region, nach Inari  - wir wollten in Inari das renommierte Siida-Museum besuchen und ein wenig über die Kultur der Sami-Völker erfahren..

Auf nach Sapmi / Ivalo

Das Museum ist hervorragend eingerichtet; Naturkunde, Kultur, Lebensweise und Geschichte der indigenen Samivölker sind die Schwerpunkte.
Und ich stellte fest wie wenig ich über die Sami wusste, wie unbekannt ihr Kampf um Überleben und Autonomie mir war. Ich wusste auch nichts über die Zerstörung der Sami-Siedlungen durch die deutsche Wehrmacht und ich fühle mich immer noch beschämt,  daß dieses Thema so wenig wahrgenommen wird.

Und die Museumsbesucher? Aufmerksam und konzentriert - angereist aus etlichen nordischen Ländern, aber auch aus der Schweiz, Frankreich, Deutschland, mit Reisebus, Wohnmobil oder Motorrad 

wie immer: für eine größere Darstellung auf ein Bild klicken!

Neben der permanenten Ausstellung wird gerade eine Ausstellung der Künsterlin Outi Pieski gezeigt: "Rematriation of a Ládjogahpir—Return to Máttaráhkká" - es geht um den "Hornhut / ládjogahpir" der samischen Frauen, der von den christlichen Missionaren verteufelt, verboten und verbrannt wurde, bis in unsere Gegenwart vergessen war und nun durch dieses Gemeinschaftsprojekt der Künstlerin Outi Pieski und der Wissenschaftlerin Eeva-Kristiina Nylander in die Gegenwart geholt wurde. Der Titel der Ausstellung enthält ein Wortspiel, das zu denken gibt:

statt Re-Patrisierung Re-Matrisierung! Es geht um Frauen, Mütter, nicht um Väter.

Aber auch die Natur des hohen Nordens beeindruckte uns: 250 km "oberhalb" des Polarkreises, so weit nördlich war ich noch nie gewesen, blühten Blumen in zarter Blumenpracht, waren die Waldböden mit Beerensträuchern bedeckt, ließen sich ab und an Rentiere blicken, und ein putziges Eichhörnchen turnte in der Nähe des Museums herum.

Wir unternahmen eine Bootsfahrt über einen Abschnitt des Inari-Sees, der drittgrößte See Finnlands und der größte der Region Sápmi, vorbei an Friedhofsinseln (die Toten wurden auf In seln beigesetzt, damit ihre Totenruhenicht von Wildtieren gestört wird) und an dem sagenhaften Ukko-Felsen, einem samischen Opferplatz.
Natürlich konnten wir nur einen kleinen Abschnitt des Sees "befahren", aber wir sahen die menschenleeren Inseln, die Ufer, die Wälder, riesengrosse Felsen ... ich freue mich dass ich das alles erleben durfte.

am Abschiedstag, als wir mit unserem Gepäck zur Busstation "rollten", gaben uns 4 Rentiere ein Geleit und die Sonne kam heraus. In wunderschönem Licht fuhren wir durch die Wälder, stiegen in Rovaniemi in den Zug und erreichten spätnachts Helsinki.

Die Tage in Finnland, im hohen Norden, in der Region Sápmi - ein anstrengeder, aber sehr sehr lohnenswerter Abschnitt meiner Sommerreise!

Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.

so meinte Karl Lagerfeld und gab damit eine ebenso treffendes Statement ab wie seinerzeit Wolfgang Koeppen:

"Wer morgens um sieben zur Arbeit geht, hat den Tod überwunden …"

Warum ich das hier notiere? Nun, dazu später in diesem Beitrag.

Am 6. Mai wurde im Eisenkunstguss Museum in Büdelsdorf / Schleswig-Holstein die Ausstellung "Dieter Eidmann - Innen und Außen" eröffnet, mit kleineren Werken und Gemälden im Museum und zwei großen Skulpturen vor dem Museum - daher der Titel. Dieter Eidmann war der Mann meiner Freundin Angelika Janz, der Dichterin, deren Textfragmente mich schon zu Studienzeiten faszinierten und die ich hier in Vorpommern dann auch traf.
Das Eisenkunstguss Museum ist ein feines Museum in einem schönen klaren Gebäude mit einer sehr speziellen Sammlung.  Käte Ahlmann, die Ehefrau des Leiters der Carlshütte, dem ersten Industrieunternehmen in Schleswig-Holstein, und spätere Leiterin, hat ihre umfassende Sammlung von Eisenkunstguss-Objekten gestiftet und so kann man heute rund 180 Expxonate aus Gusseisen und Kunstguss studieren, betrachten und vielleicht auch bewundern. Neben der Dauerausstellung gibt es auch immer Sonderausstellungen, und die aktuelle nun ehrt Dieter Eidmann. Zwei große, großartige Skulpturen haben ihren Platz vor dem Museumsgebäude gefunden und wurden aus Anlaß der Ausstellungseröffnung auch feierlich und freudevoll enthüllt.

Mehr zu diesem Ereignis findet man auf der Dieter Eidmann gewidmeten Webseite.

Eisenkunstguss Museum Büdelsdorf - die Skulpturen noch verpackt

die Skulpturen, noch verpackt | © Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen

Eisenkusntguss Museum Büdelsdorf - Dieter Eidmanns Skulpturen, nun ausgepackt

Dieter Eidmanns Skulpturen, nun ausgepackt | © Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen

Aber was hat Eisenkunstguss mit meinem Oberthema "Stricken - Wolle - …" zu tun?

Nun, in der Sammlung des Museums gab es nicht nur Ofenplatten und Heldenbüsten zu bewundern, auch Haushaltsgegenstände, wie zum Beispiel einige wunderschöne schlichte Kannen, aber dann auch eine Garnhaspel!

Eine Garnhaspel aus Eisen …, mit Schnörkel und Verzierung!

Ob man damit wirklich gut arbeiten könnte? Bei meinem Geschick bliebe wahrscheinlich der Faden immer irgendwo hängen… ich kann mir das nicht vorstellen. 

Eisenkunstguss Museum Büdelsdorf - Haspel

Aber gehen wir weiter - zu Karl Lagerfeld ins Europäische Hansemuseum

Ausstellungsplakat Guter Stoff - Europäisches Hansemuseum, Lübeck

Ausstellungsplakat Guter Stoff - Europäisches Hansemuseum, Lübeck

aber gehen wir weiter … Was denn nun hat der zitierte Karl Lagerfeld mit dem Eisenkunstguss Museum zu tun? Eigentlich nichts, aber ich denke, das Museum hätte ihm auch gefallen können.
Nein, am Sonntag nach der Veranstaltung in Büdelsdorf machten wir noch einen Zwischenstopp in Lübeck, im Europäischen Hansemuseum, denn ich wollte doch zu gerne die aktuelle Sonderausstellung "Guter Stoff - Textile Welten von der Hansezeit bis heute" besuchen.
Das Museum selbst ist schon einen Besuch wert, eine tolle Architektur, angefügt an das Burgkloster, das auch die Sonderausstellung beherbergt.

Die Ausstellung ist, wie inzwischen wohl museologisch üblich, sehr didaktisch aufbereitet, es werden nur wenige Museumsstücke, dafür aber viele Schautafeln und andere didaktische Mittel eingesetzt und gezeigt. Dabei wurde aber sehr stilvoll vorgegangen, so war beispielsweise die Videopräsentation der verschiedenen Kleidermoden ein ästhetisches Vergnügen (und wunderbar: ohne Ton, ohne unterlegte Musik, einzig die Personen in ihrer Kleidung kamen zur Wirkung).
Ich habe mir die Exponate angesehen, den Katalog erstanden und mich gefreut, auch wenn ich gerne noch mehr gesehen hätte.

Bis Ende Oktober 2023 kann man die Ausstellung noch erleben, sie wurde verlängert.

nun also doch noch Karl Lagerfeld ... in einem ersten Ausstellungsraum wird der Unterschied zwischen Mode und Bekleidung, Massenware und individueller Bekleidung, mit diesem Zitat des egozentrischen Modekünstlers verdeutlicht.

Hier nun einige Bilder aus der Ausstellung.

Geplant und gebucht ist die Reise schon lange, und dann steht der Abreisetag doch plötzlich vor der Tür! Morgen geht es los. für sechs Tage nach Riga. Und ich habe viel vor:

  • Ich habe eine Verabredung im Historischen Nationalmuseum mit Linda Rubena (Kulturinstitut Lettland)  und Ziedite Muse (Sena Klets). Wir wollen einem Rätsel auf die Spur kommen:
    Warum gibt es keine Zipfelmützen in Lettland?
    Ich habe so viele Ausstellungen besucht, so viele Sammlungen gesehen, aber nirgendwo  fand ich eine gestrickte Mütze. Auch wenn der Ethnographisch-Historische Atlas der Baltischen Länder (Autorin: Mirdza Slava) einige Zipfelmützen auflistet, wenige nur im Vergleich zu deren reichen Vorkommen in Estland, gibt es anscheinend keine Belege für solche Mützen.
    Das Archiv des Historischen Museums in Riga enthält einige Mützen, aus Wolle, Baumwolle oder Leinen, aber ob das lettische Mützen sind? Die Kuratorinnen meinen, diese Exemplare kämen aus Estland.
    Tja, am Donnerstag weiß ich vielleicht mehr - Fotoapparat, Baumwollhandschuhe, Bleistift und Radiergummi sind eingepackt, die Neugierde ist groß.
Eine Schankszene aus Livland, Lettland

Das Bild mit der Schankszene aus Livland habe ich einem kleinen Büchlein entnommen, das als Gemeinschaftsprojekt der Regionen Seto und Kihnu in Estland und Suiti und Livland in Lettland entstanden ist.
Auf dem Bild ist eine Zipfelmütze zu sehen, aber erstaunlicherweise eine Mütze mit einem Schirm, und auch ein Paar Socken (solche stricke ich gerade).

  • Im Ritums Handarbeitszentrum gibt es gerade wieder eine interessante Ausstellung zum 50-jährigen Bestehen des Ateliers für angewandte Volkskunst "Cēre"  zu bestaunen. Dieses Zentrum ist immer wieder einen Besuch wert. Und es liegt gerade mal 20 Meter entfernt von Sena Klets... es gibt also keine Ausrede, dort nicht vorbeizuschauen!
  • Ich wollte eigentlich noch eine Pottmütze im Museum "World of Hats" vorbeibringen, aber auf meine Anfrage hin kam leider keine Antwort. Ich schaue einfach mal vorbei und versuche ins Gespräch zu kommen.
  • Ja, natürlich schaue ich bei SENA KLETS vorbei, treffe meine Freundinnen und verabrede mich mit Maruta Grasmane.

Das ist eigentlich schon ein recht gut gefülltes Programm, und natürlich werde ich wieder im Café Rigensis sitzen, mich mit Jana treffen, stricken und genießen.

Ich werde berichten!

Ausstellung im Zentrum RItums, Riga

Ich habe in der letzten Zeit meinen Reisebericht nicht weitergeschrieben, die Gründe dafür ? Vorbereitungen für den Workshop mit Riina Tomberg am 4. und 5. 10. in Greifswald und mein Ärger über die Wahlen am letzten Sonntag. Ich habe große Sorge, daß die entstehende Bundesregierung den Herausforderungen, die uns bevorstehen, in keinster Weise gerecht werden wird (werden kann); daß die Menetekel immer noch nicht verstanden wurden.

Diese Sorge lähmt mich sehr, da habe ich lieber im Sessel gesessen und vor mich hingestrickt. Ein Tuch ist fertig geworden und muß nur noch gespannt werden, eine neue Jacke braucht nur noch Knöpfe.
Stricken tut mir gut und nun freue ich mich auf die kommenden Tage!

Aber ich schreibe auch an meinem Reisebericht weiter. Es geht weiter in Kuressaare auf Saaremaa. Riina hatte den Besuch im Archiv des Museums vorbereitet und eine interessante Auswahl an Studienobjekten zusammengestellt.
 

Stücke aus dem Archiv des Saaremaa-Museums

Also zurück nach Kuressaare auf der Insel Saaremaa!
Wie wir wissen, haben die estnischen Inseln alle ihre ganz speziellen Trachten, ob kunterbunt wie auf Muhu oder weiß-dunkel wie auf Ruhnu oder weiße Striümpfe zu roten Legwarmern wie auf Vormsi,  aber die Insel Saaremaa toppt alles: hier hat noch jede Gemeinde ihre eigenen Farben, Muster, Accessoires! Ganz besonders viele Muster und Formen stammen aus den Gemeinden Jämaja und Mustjala, aber auch aus Kihelkonna.

Bisher habe ich erhaltene Mützen, Handschuhe oder Strümpfe von der Insel nur im Estnischen Nationalmuseum in Tartu gesehen, denn mein erster Versuch, das Museum in Kuressaare zu besuchen, scheiterte, die Textil-Bestände waren gerade verpackt und nicht zugänglich, das Archiv zog um. Dieses Mal aber hatte ich Glück, Riina hatte unseren Besuch angemeldet und auch schon eine Auswahl getroffen:

Fingerhandschuhe, Fäustlinge, ein typischer roter Schal, die eigenartigen Mützen...

Die Mützen! Rot mit schwarzen Streifen - die vorherrschende Farbkombination, Männer trugen früher meistens Mützen mit weißer Grundfarbe, dunkelblaue oder schwarze Mützen gehörten zur Trauerkleidung.
Diese Mützen waren fast immer innenseitig gefüttert (wie die Pottmützen ja auch).
Einige Exemplare aus Mustjala jedoch besitzen ein geripptes Bündchen, das nach innen geklappt getragen wurde. Und damit die Mützen nicht im Wind davon fliegen, wurden sie mit einem einfarbigen oder bunten, geflochtenen Band unter dem Kinn befestigt.

 

Das Archiv des Saaremaa - Museums hat im 2. Weltkrieg viele seiner Unterlagen verloren, so zeigen die Exponate oft noch die alten Archivnummern, aber die Daten dazu sind verlorengegangen. So findet man auch im Online-Archiv bei vielen Exponaten den Hinweis "muuseumi endistest kogudest, mille kohta andmed puuduvad;" - aus den ehemaligen Sammlungen des Museums, für die keine Unterlagen vorhanden sind.

Drei Mützenformen konnte ich bewundern:

eine Mptze mit abgestuften Abnahmen
Mütze aus Anseküla
Mützen aus Jämaja

Mützen mit Abnahmen, die zwischen den Musterstreifen plaziert sind.

Mützen mit "starker Abnahme", diese Mützen sitzen knapp auf dem Kopf, der längste Teil der Mütze hängt nach unten.
Diese Mütze aus Anseküla ist 62 cm lang!

Viele der Mützen aus Jämaha tragen Quasten aus Stoff- und Spitze verziert und zeigen einen deutlichen Rand: der Saum wurde gefaltet und der Anschlag wurde über dem ersten Musterband festgenäht.
Dadurch kräuselt sich der untere Teil der Mütze sehr. Zudem sind die unteren  Musterstreifen haben immer einen hellen Hintergrund.

Aber natürlich gab es nicht nur Mützen zu bewundern, deshalb binde ich noch eine Bilderauswahl hier ein. Interessant ist, daß die "Saaremaa Schals" gehäkelt und nicht gestrickt sind!

Bestellformular
Blick auf die Ordensburg in Kuressaare
Frau  mit Tuttmüts, Video-Ausschnitt

Zum Abschluß dieses interessanten Besuches unterschrieb ich noch das Tellimisleht - das Bestellformular und wir genoßen  ein leckeres Mittagessen im Kurgarten-Restaurant von Kuressaare mit Blick auf die Ordensburg, wieder einmal schien die Sonne für uns.

Bei dem Lied- und Tanzfestival der Küstenschweden, das wir später, am letzten Tag unserer kurzen Reise, in Haapsaluu besuchten, konnte ich dann diese Mützen auch außerhalb eines Museums-Archivs bewundern, wie das Bild aus einem Handy-Video zeigt.

Gegenwärtig sind, das stelle ich mal so fest, so ziemlich alle Völkerkunde- und Volkskunde-Museen in Deutschland in der Krise, permanent in Frage gestellt durch eine Gemengelage aus Poltical Correctness, Sparwut, Umwandlung in gewinnorientierte GmbHs, Ignoranz (was soll der alte Krempel) und multimigrationaler Überforderung. Da werden Museen umbenannt statt sie mit dem Notwendigen auszustatten (s. das alte wunderbare Hamburger Völkerkundemuseum) oder auseinandergerissen respektive zusammengelegt, passe was wolle.

Das Berliner Museum der Europäischen Kulturen ist aus der  Zusammenlegung der europäischen Sammlung des Museums für Völkerkunde (heute Ethnologisches Museum) mit den Beständen des Museums für [Deutsche] Volkskunde aus Ost- und Westberlin entstanden. Und selbstverständlich braucht dann ein neuer Topf auch einen neuen Deckel: man möchte gerne zu einer modernen, kulturanthropologischen und -vergleichenden Sammlungs- und Forschungstätigkeit mit europäischer Perspektive kommen.

Ob das funktioniert, kann ich nicht sagen. Ich, als Museumsbesucherin, erhalte ja immer nur einen kleinen Einblick in die Bestände und muss mich auf die Präsentation der Obekte verlassen.

Ich hatte schon einige Kritiken der gegenwärtigen Dauerausstellung "100% Wolle"  (von November 2017 bis Juni 2019!) vernommen, ließ mich aber nicht abschrecken.
Manchmal möchte ich meine Vorurteile bestätigt finden... ich will mir aber ärgern!

Nun, ich denke, soviele Vorurteile hatte ich gar nicht wie hier bestätigt wurden. Ich liste erst einmal auf, was mir beim Besuch und nach dem Besuch in den Sinn kam.

Die Außendarstellung macht auf modern: Ein Wortspiel (ja doch, Wolle kommt von Wollen)  und ein bemüht strickversuchender Hipster mit Bart und Hosenträgern. Wer ist die Zielgruppe dieser Ausstellung? Das wird nicht klar - oder anders ausgedrückt:
Allen wird zuwenig oder auch gar nichts geboten.

Aber mal dem Alter nach:

Kinder dürfen auf dem großen Schaf herumklettern, wenn sie ordentlich die Schuhe ausziehen und sich von dem grimmigen Blick des Riesentieres nicht abschrecken lassen. Aber warum sollten Kinder auf einem Schaf herumtoben?
Das hat keinen Bezug zur Lebenswelt, nicht zu der der Schafe und auch nicht zu der der Kinder.

Kinder können sich an den preiswert-lieblos aus Spanholz zusammengezimmerten Tischen im Handarbeiten üben, dazu ist das sicherlich schon vertraute Kita-Inventar (Kleinwebrahmen und Strickliesel) im Angebot, ob so spielerische Neugierde geweckt wird? Ein Pressebild zeigt Großmutter, Patchwork-Vater und zwei Jungs "irgendwas mit Wolle" machen (Mädchen sind nicht vertreten) , das ist wahrscheinlich die Umsetzung des Vorhaben "eine Plattform (zu) entwickeln, die den Besucher_innen die Möglichkeit bietet, gemeinschaftlich Kulturtechniken kennenzulernen und zu erproben."
Wie das an den Sonntagnachmittagen vor sich geht, vermag ich nicht zu sagen und zu beurteilen, ich war während der Woche da.

Der leidlich interessierte Besucher kann nach oben blicken und an einer Kleiderstange hängende Pullover oder Blusen betrachten. Er kann sich blumentopfähnliche schwarze Plastikteile ans Ohr halten und sich Geschichten erzählen lassen, so jedenfalls die Intention: die  Möglichkeit, sich der Wolle spielerisch, sinnlich, intellektuell oder nostalgisch anzunähern und damit auseinanderzusetzen - mittels der sprechenden Kleiderstange, die ich allerdings eher mit einer chemischen Reinigung oder einer Kleiderkammer assoziierte.
Der Besucher kann sich Bücher von einem Regalbrett nehmen und sich lesend vertiefend. Vorher allerdings muß er die Schuhe ausziehen, sich am Schaf vorbeidrücken und dann kommt er erst ans Regal. Was dort auf dem Regalbrett stand? Auf jeden Fall keine Fachliteratur, nichts Vertiefendes, so ein Bücherkisten-Krabbel-Angebot eben...
Oder er faßt mal in die kleinen Schälchen mit geringen Mengen Vlies, Wolle oder 3 Seidenkokons und versucht die

Ein wirklich interessierter (Fach-)Besucher jedoch muß zwangsläufig enttäuscht werden. Alle Erwartungen, die man vor einem Museumsbesuch so aufbaut, werden nicht erfüllt.  Dazu noch später...

Ein kunstinteressierter Besucher wird sich vielleicht in dem letzten Raum der Ausstellung die VIdeo-Installation betrachten und dabei auf dem "fliegenden Teppich" sitzen, welcher in China hergestellt und aus Synthetik...

Was will der Hipster sehen, was kann er wahrnehmen? Da fällt mir gar nichts ein.

wie immer: aufs Bild klicken für eine größere Ansicht

ein einziger Handschuh!

nachhaltig designt???

nachhaltig designt aber nichts Besonderes

Wenn ich aufzähle, was ich vermißt habe, wird sicherlich deutlich was meine Erwartungen so waren; als ich das erste Mal von diesem Ausstellungsvorhaben hörte freute ich mich.
Ein ethnographisches Museum das sich diesem Thema stellt, da bildet sich doch gleich von selbst eine Erwartung, ich nenne ein paar Stichworte:

  • der unglaubliche Entwicklungsschritt der Menschheit zur Haustierhaltung, der die Produktion von Nahrungsmitteln und Bekleidung ermöglichte
  • die Vielfalt der faserliefernden Haustiere, ihre geographische Verbreitung, die unterschiedlichen Lebensformen die sich aus der Haltung ergeben: Nomadentum, Seßhaftigkeit,von Weidehaltung zu landwirtschaftlicher Produktion
  • die mythische und wirtschaftliche, kulturprägende Verbindung zwischen Mensch und Tier
  • die Vielfalt der Woll-Nutzung; Wärme, Isolierung, Kleidung, Schmuck...
  • Alltagskleidung und Festtagskleidung (man denke nur an die rituellen Handschuh-Präsente im Baltikum)
  • Herstellungstechniken: von dem Vlies zur Faser, vom Groben zum Feinen, von der Manufaktur zur Fabrik
  • die Mannigfaltigkeit der Trachtenkleidung
  • die regionalen Ausprägungen der Wollnutzung in Europa - von Shetland über Skandinavien und dem Baltikum bis Südeuropa
  • ...

Viele dieser Punkte werden angerissen, aber nichts wird auch nur knapp behandelt oder im Überblick vorgestellt.
Ein paar hübsche Instrumente (Spindeln, Spinnrad usw.), keine Nadeln, in den kargen Vitrinen einige wenige Stücke vom Westbalkan bis Bulgarien, ein einziger estnischer Handschuh!!!

Bei den Techniken: Spinnrad, Webrahmen, und Kärtchen fürs Bändchenweben (eine Technik die aber vollkommen rätselhaft bleibt, nicht erklärt wird). Dabei wäre es so einfach gewesen, anhand  des Bändchenwebens mit wenigen Exponaten die Verbreitung der Technik im gesamten europäischen Raum aufzuzeigen, es werden doch sogar Kärtchen aus TIflis / Georgien gezeigt!

Daß die Stricker(innen) auch ein politisches Bewußtsein haben - nagottseidank gibt es die Pussy-Hat aus Amiland!
Und daß Designer inzwischen umweltbewußt / nachhaltig  Textilien entwerfen (und die Strickerinnen ihrer Entwürfe dann sogar persönlich kennen), da fällt doch glatt die Ananasdose in Peking oder ein Auftragsbuch bei Tines oder Sena Klets in Riga um!

Daß die gezeigten "Design-Entwürfe" auch noch ausgesprochen unelegant, wenig schön, eher armeslig ind, zeigt wieder einmal die ästhetische Unempfindlichkeit der Ausstellungsmacher... es gibt immer Schönes und Banales, man muß es nur finden!

So, nun habe ich die Dinge, die mir durch den Kopf gehen, seit ich diese Ausstellung besucht habe, aufgelistet.
Ich ärgere mich daß es so eine oberflächliche, leidenschaftslose und langweilige Ausstellung geworden ist, wo das Thema doch soviel hergeben könnte, und wo, wie ich mir habe sagen lassen, das Museum über einen großen Textilien-Bestand verfügt.

Einfach nur schade, Thema vergeigt.

Woran liegt das aber? Fehlt es an inspirierten Ausstellungsmachern, sind Wissenschaftler zu teuer, muß heute alles von Praktikanten oder Messebau-Firmen umgesetzt werden, will man nicht in die Tiefe gehen, schätzt man die Schätze, die man in den Sammlungen hat, nicht, stapelt man zu tief oder läuft man unter dem (Synthetik-)teppich?

Es ist nicht so schwierig, es gibt soviele Informationen, on- oder offline, man braucht doch nur fragen und sich umschauen.

 

Ich habe immer wieder nachgedacht, warum ich mit so gemischten Gefühlen an den Besuch im Estnischen Nationalmuseum in Tartu, ERM, zurückdenke.

Ich erinnere mich ja auch an Gefühle und die Gefühle, die ich beim Besuch und später beim Zurückdenken an den Besuch, wahrnahm,  sind:

  • Enttäuschung
  • Beklemmung
  • Einengung
  • Überflutung
  • Fehl am Platz

Ich hoffte darauf, die Schätze, die im alten Museum nicht angemessen präsentiert werden konnte, sei es aus Platzmangel oder architektonischen Gründen oder Bauschäden, nun in Ruhe und gutinformiert betrachten zu können. Ich habe immer Präsentationen, wie ich sie im Shetland Museum in Lerwick erlebte, als besonders gelungen empfunden, wenn in einer Vitrine besondere Exemplare gezeigt wurden und weitere Stücke dann in Schubladen zur Verfügung lagen...

wie immer: auf die Vorschaubilder klicken!

aber so war es nicht. Der Ausstellungs-Raum im großen Haus ist eine lange Passage, in der die ständige Ausstellung "Encounters" gezeigt wird.

Most of the exhibition space is dedicated to the permanent exhibition Encounters, expanding upon Estonian cultural history and everyday life and stretching out on a timeline from the present day to the Ice Age.

so heißt es auf der Museumswebseite. Und das wurde dann auch gezeigt, eine bunte Mischung, von Allem etwas, nichts vertieft, immer nur ein Eindruck, ein glimpse... möglichst mit einem technischen Gimmick, einem Knopf zum Drücken, einem Pedal zum Treten, ein Display zum Wischen...Und immer geht irgendwo ein Weg zur Seite in eine andere Präsentation, aus der man nicht immer zum Ausgangspunkt zurückfindet... zwischendurch ist es auch mal dunkel, dann hört man verschiedene Volkslieder, die sich übertönen, es bleibt ein Gemisch ohne Information, ein MashUp ohne Unterscheidungen, alles ist irgenwie estnisch, aber was ist es denn?

Da frage ich mich: Die Ausstellung heißt encounters, aber wer soll sich hier treffen, was soll man antreffen?  Ich fand die Abteilungen, die mich interessierten, nur nach etlichem Suchen und falschen Abbiegungen, ich musste mir die Ohren zuhalten wenn es zu laut war, oder beiseite gehen, wenn die Schulkinder sich in einer optischen Installation als Schatten auf einem Bett ablichten ließen (dies zur bürgerlichen Wohnkultur)... aber studieren, betrachten, lernen?

im Nationalmuseum von Estland: Das Videoporträt von Kihnu Roosi

Dieses Bild zeigt mich in einer Ecke, nachdem ich dann die Kostüm-Präsentation gefunden habe (Rural life and Rural Beauty), eine Videowand in einer Seitennische, die Erklärung dazu auf der Rückseite, der Ton übertönt von Besuchergruppen und anderen Audio-Quellen...

Die Ausstellungsstücke, die ich in ihrer Vielfalt sehen wollte, denn ich kenne ja die reichen Bestände des Museums aus Büchern und von Webseiten und den Seminaren an denen ich teilgenommen habe, waren spärlich verteilt. In der Mitte eines Ganges eine große Vitrine aus spiegelndem Glas, in der Puppen, mit verschiedenen Trachten bekleidet, sich verrenkten.

Rural Life and Rural Beauty

"Rural Life and Rural Beauty"

Exponate von Muhu

Exponate von Muhu

Trachten aus Muhu und Saaremaa

Trachten aus Muhu und Saaremaa

eine kleine Handschuhparade

Ganz besonders gefreut habe ich mich dann über die wenigen Handschuhe, die schlecht beleuchtet, auf dem Fussboden einer solchen Vitrine ausgestellt waren, reicht es denn die Exponate nur zu sehen? Sie aber nicht betrachten zu können?

Was ist die Aufgabe eines Nationamuseums?
Was sind die Zielgruppen eines solchen Museums? In erster Linie doch wohl die Bürger dieses Landes, und nicht irgendwelche  Besucher, die ein Treffen nötig haben, und nicht nur Schulklassen, die ihren Spaß haben aber nichts wirklich kennenlernen können..

Ich habe über meinen Besuch in diesem Museum viel nachgedacht, ich bin ja auf der Reise auch immer wieder nach meiner Einschätzung gefragt worden, zuletzt beim Abendessen mit Riina Tomberg. Ich bin ja keine Estin, es ist nicht mein Museum, aber unsere Einschätzungen stimmten überein. Riinas Resumée: Wir sind eben nicht die Zielgruppe dieses Museums...

Ist das nicht schade?

Rollenspiele und Gauklertreffen haben mich noch nie interessiert, ich fand das Leben immer schon so auch bunt genug. Menschen, die sich eine alte, pseudohistorische Identät zulegen,  blieben mir fremd, auch die Freunde, die als Liedermacher auf irischen Spuren wandelten und feuchtfröhliche Feste feierten. Ich wohnte damals im Rheingau und es gab Burgen genug für solche Spielchen, für Trinkgelage nach dem Ingelheimer Folklorefestival zum Beispiel.

Nun fand ich die Webseite von Urtatim bint 'abd al-Karim al-hakim al-Fassi, früher auch bekannt unter dem Namen Anahita. Diese Dame ist so eine Art Zeitreisende, und wenn sie mal wieder in der Gegenwart aufschlägt, pflegt sie ihre sehr eigentümlich navigierbare Webseite und dokumentiert die historischen Socken, die sie nacharbeitete. Sie gehört der Society of Creative Anachronism an, was ja auch was für sich hat.

Palmtree Gazelle sock-thumb

Palmtree Gazelle sock-thumb

Das finde ich faszinierend. Beim SockenGipfel 2009 in Oregon wurde einer dieser Socken auch im dortigen Sockenmuseum gezeigt und seitdem auch in einem Flickr-Album gezeigt. Wenn Sie also Interesse haben, diesen alten Socken nachzustricken, der zuerst in Richard Rutts History of Handknitting dokumentiert wurde, dann finden Sie bei Urtatim bint 'abd al-Karim al-hakim al-Fassi die genaue Anleitung dazu: Medieval Children Sock, alle ihre Modelle hat sie auf Ihrer Medieval Muslim Knitting Page aufgeführt.

Ob nun diese Dame oder andere Stricker, in den USA und wohl auch in Großbritannien  scheint das Rekonstruieren antiker Strickruinen ein beliebtes Hobby zu sein. Hier in Deutschland ist mir das noch nicht begegnet. GIbt es auch deutsche Strickerinnen, die sich auf alte Socken spezialisiert haben?

PS: Das Photo wurde von  Urtatim bint 'abd al-Karim al-hakim al-Fassi gescannt, der Socken gehört dem Textile Museum, Washington, D.C.