Flachsblüte
Nun also die Fahrt nach Ruhnu, der kleinen Insel im livischen Meerbusen...

Ruhnu macht es den Besucherinnen und Besuchern nicht leicht. Bei meinem ersten Versuch, 2018, ging die Fähre schon am zweiten Tag der Sommersaison kaputt und konnte nicht repartiert werden, beim zweiten Versuch, 2019, war unsere Unterkunft überbucht und es ging wieder nicht.

Aber letztes Jahr, 2022, schien der "Fluch von Ruhnu" nicht zu wirken, Pat und ich konnten von Saaremaa aus übersetzen und wundervolle Tage verbringen.

Warum also sollte es dieses Jahr nicht wieder möglich sein? Zu viert reisten wir an und standen erwartungsvoll am Kai von Munalaid, als die Fähre einlief und die Passagiere das Boot verließen. Aber die Crewmitglieder setzten ernste Gesichter auf, ließen niemanden an Bord und dann kam auch die Hiobsbotschaft: Die Fähre kann nicht auslaufen, ein technischer Defekt, irgendwo lief Wasser in das Boot und es schien keine Reparatur möglich zu sein.

Anlegemanöver der regulären Fähre
Welche Enttäuschung! Und die Suche nach Alternativen... ich erinnerte mich an die nahegelegene Insel Manija, die ich bei einem der Ausflüge des CraftCamps schon einmal besucht hatte und daß es dort auch eine Herberge geben sollte. Ja, es gäbe noch freie Plätze auf dem Hof "Riida Talu", die Wirtin käme auch am Abend vom Festland auf die Insel und wir könnten das klären.
Und so kam es auch, wir setzten mit der kleinen Fähre nach Manija über und wurden per Traktor-Anhänger zum Ferienhof gebracht.

Die Tage dort waren überschattet von dem Wunsch, doch noch nach Ruhnu zu kommen. Auch wenn wir die Schönheit dieser Insel und die Gastfreundschaft der Wirtin Ülle genoßen, immer stand die Frage, ob wir es schaffen könnten, im Raum. Als es dann möglich schien, konnten nur Pat und ich die Weiterreise dorthin planen, unsere beiden anderen Freundinnen hatten nicht mehr genug Zeit. Die geplanten Workshops waren auch nicht mehr möglich, denn Külli, unsere "Lehrerin", hatte keine Zeit mehr für uns, sie war an der Organisation des Violinfestivals auf Ruhnu beschäftigt, welches hoffentlich auch würde stattfinden können...

Die Fähre war noch immer nicht repariert, ein kleines "Ersatzboot" war avisiert und wir wurden darauf "gebucht" : two elderly ladies who do not speak Estonian but really want to go Ruhnu ...

Und wieder konnten wir nicht fahren - starker Wind machte die Überfahrt unmöglich - am vierten  Tag dann aber klappte es. Wir wurden nach Munalaid zurückgebracht, mit einem Zwischenstopp am Manija Museum (ein schönes EU-LEADER-Prohekt), und wir freuten uns als das "Ersatzboot" einlief - auch wenn die Ankündigung "It will be a hard drive" nichts Gutes ahnen ließ...

Das "Ersatzboot" läuft ein
Alle wollen nach Ruhnu
Nach einer weiteren Wartezeit (der Tankwagen zum Betanken des Bootes war nicht gekommen), wurden alle Koffer und Gepäckstücke in einer Ladeluke untergebracht und wir durften an Bord. Eine kleine Kajüte, die nicht alle 15 Passagiere fasste, bot uns und vier weiteren Passagieren Schutz, die anderen Passagiere blieben auf dem offenen Deck. Der sympathische Kapitän machte uns Mut, forderte alle auf, nocheinmal zur Toilette zu gehen, die Reise würde dauern... und dann stachen wir in See. Und los ging es - starker Wind, starke Wellen, das Boot tanzte wie ein Rummelplatzkarussel, und nach einer Stunde und Zwischenstopp im Hafen von Kihnu zum Auftanken, ging es weiter.
Das Ersatzboot im Hafen von Munilaid
Trost nach der Überfahrt

Ein Höllentrip! Das Schiff tanzte auf den vier bis fünf Metern hohen Wellen, schlug hart auf, die Wellen brachen sich über dem Boot, selbst durch die Lüftungsklappen kam Seewasser in die Kajüte - da half nur stoisches Ergeben und der Griff nach einer der Kotztüten, die bereit lagen.
Ein Passagier nach dem anderen wurde grün und grüner im Gesicht, ich schloß die Augen und hoffte auf ein Ende dieser Höllenfahrt.
Abends um 22:00 liefen wir erschöpft im Hafen von Ruhnu ein, sieben Stunden Fahrt lagen hinter uns, sieben Stunden, die wir wohl so bald nicht vergessen werden.

Luise, unsere Gastgeberin, umarmte uns herzlich, die Koffer wurden an Land gebracht, wir waren gerettet!

Das "Saunahaus" stand für uns bereit, und nach einer Kanne Tee und zwei Piroggen, die uns Luise brachte, fielen wir in tiefen Schlaf.

Pat and ich waren endlich angekommen!

So konnte ich meinen Geburtstag wie erhofft auf Ruhnu feiern, auch wenn ich feststellen musste, daß alles in meinem Koffer durchnäßt war und gewaschen werden musste.

Aber es wurden noch fünf wunderschöne Tage, wir feierten am 22. Pats Geburtstag und nachträglich auch meinen mit einer Kaffeetafel, "Cheese Cake with Berries", ein Traum!

Marion, eine Festivalbesucherin, spielte zu einem Geburtstagsständchen auf und die Sonne schien

Geburtstagskuchen

Wir ruhten uns aus, erholten uns, freuten uns, strickten, ich wusch die Wäsche und fand auf einem Baumstumpf einen wunderhübschen Schleimpilz, der ja eigentlich kein Pilz ist.
Wikipedia kann das besser erklären als ich.

Slime mold - "Schleimpliz"

Ja, Ruhnu ist wunderschön! Und tut gut, auch wenn die Insel es den Besuchern schwer macht.

Zum Abreisetermin dann war die Fähre repariert und wir boten all unser Vertrauen auf, schoben unsere Koffer durch strömenden Regen zum Bus, betraten die Fähre und landeten nach rund zwei Stunden auf der Nachbarinsel Saaremaa.

wie immer: für eine größere Darstellung auf ein Bild klicken!

Ein Treffen mit Erika Pedak, (VillaVolli), der Filzkünstlerin, am Busbahnhof von Kuressaare war zeitlilch noch "drin" bis wir per Bus nach Tallinn reisten.

Wir absolvierten nur ein kurzes Besuchsprogramm in Tallinn: einmal zu  Karnaluks, zu den Buchläden Apollo und Rahvaramaat, dann packte Pat ihren Koffer und reiste heute Nacht  ab, nach fünf  gemeinsamen Wochen zurück nach Denver. Ich fahre heute nachmittag gegen 15:00 nach Riga...

Das vierte Kapitel meiner Reise liegt nun hinter mir, es war aufregend, kräftezehrend und wunderbar!

Im Handarbeitszentrum von Töstamaa werden Kurse gehalten, Workshops, es gibt Stricktreffen und es werden wunderschöne Dinge gearbeitet, die dann im Laden an Kunden, die die Schönheit und die Arbeit schätzen, verkauft werden.

Ahhs und Ohhs und Did you see that? und Where did you find these? - mit leeren Händen geht wohl niemand hier raus.

Nach einem Abstecher zu den Küstenwiesen, ein besonderes Biotop in dieser Region, und einem Mittagessen wurden wir dann mit einer kleinen Fähre auf die Insel Manilaid gebracht.

Bilder © Mathilde Frances Lind (e-mail sassysamovar@gmail.com)

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Die kleine Insel Manilaid hat es sogar in die Wikipedia geschafft, ich zitiere hier mal das Wissenswerte:

Manilaid (auch: Manija, deutsch: Manja) ist eine estnische Ostsee-Insel. Sie liegt in der Rigaer Bucht zwischen der Halbinsel Tõstamaa und der estnischen Insel Kihnu.

Manilaid liegt etwa einen Kilometer vom Festland entfernt. Die Größe der Insel beträgt 1,87 km². In der Nähe finden sich die Eilande Annilaid (auch Anõlaid) mit einer Größe von 0,03 km² und Munalaid. Vom Hafen Lemsi auf Kihnu aus gibt es eine regelmäßige Fährverbindung zu den Inseln. Die Inseln gehören verwaltungsmäßig zur Gemeinde Pärnu im Kreis Pärnu.

Manilaid wurde erstmals 1560 als Holm Maune urkundlich erwähnt. Bis 1933 war die Insel unbewohnt, bevor Esten aus Kihnu auf der Insel siedelten. Heute leben dort dauerhaft 49 Menschen (Stand 2006). 2005 erhielt die gesamte Ortschaft Wireless LAN.

Auf der Halbinsel Papina befindet sich der acht Meter hohe Leuchtturm der Insel.

Tõstamaa, Kreis Pärnu, Estland

Manija, Pärnu maakond, Estland

Kihnu, Kreis Pärnu, Estland

Nach knapp 4 Minuten Überfahrt betraten wir das Eiland und wer nicht zu Fuß gehen wollte, wurde auf einem Treckeranhänger zum kleinen Museum gefahren, wo uns die Tierärztin bereits erwartete. Sie referierte über die Kultur der Insel und die Schafzucht, denn auch hier werden die Kihnu-Schafe gehalten, eine seltene und fast ausgestorbene Rasse.

Zwei Tiere waren von der Herde separiert, in einem Gatter erwarteten sie die Schur. Und das war interessant. Die Tiere werden hier nicht wie sonst mit einer Schafschermaschine geschoren, was in der Regel nur 1,5 Minuten pro Tier dauert, hier hingegen wird eine kräftige Schere der finnischen Marke Fiskars eingesetzt, und es dauert auch schon mal 15 Minuten pro Tier.

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Wir wußten schon, daß das Schafscheren nicht nur vorgeführt wird, nein, wir wurden aufgefordert, selbst Hand anzulegen. Und Mathilda und Maijaa trauten sich. Das Tier ließ es ruhig über sich ergehen.

Nach der Schur wurde es zu seiner Herde zurückgebracht, der Bock war im wahrsten Sinne des Wortes erleichtert!

Und nun die Premiere: Ich habe das Geschehen mit meiner Handykamera gefilmt, das wollte ich mir nicht entgehen lassen.
Maija ist ganz vorsichtig mit dem Tier...

Im Museum gab es auch Wolle zu kaufen (nach unserem Besuch waren die Körbe und Regale allerdings erstmal leer), und mir gefiel ganz besonders die kräftige dunkle 8/3er Wolle, die jetzt für einen dicken Winterpulli eingeplant ist.

 

Die junge Frau im bunten Trachtenrock ist die Schwiegertochter der Tierärztin und mit den Schafen auch sehr vertraut.
Die beiden hatten sichtlich Freude an unserer Neugierde.

Das war ein ganz besonderer, intensiver Tag in Töstamaa und auf Manija und ein herzlicher Dank an Anu Randma und alle anderen Beteiligten!