Charlotte Leander, Anweisungen zur Kunststrickerei, 1843
Nun also die Fahrt nach Ruhnu, der kleinen Insel im livischen Meerbusen...

Ruhnu macht es den Besucherinnen und Besuchern nicht leicht. Bei meinem ersten Versuch, 2018, ging die Fähre schon am zweiten Tag der Sommersaison kaputt und konnte nicht repartiert werden, beim zweiten Versuch, 2019, war unsere Unterkunft überbucht und es ging wieder nicht.

Aber letztes Jahr, 2022, schien der "Fluch von Ruhnu" nicht zu wirken, Pat und ich konnten von Saaremaa aus übersetzen und wundervolle Tage verbringen.

Warum also sollte es dieses Jahr nicht wieder möglich sein? Zu viert reisten wir an und standen erwartungsvoll am Kai von Munalaid, als die Fähre einlief und die Passagiere das Boot verließen. Aber die Crewmitglieder setzten ernste Gesichter auf, ließen niemanden an Bord und dann kam auch die Hiobsbotschaft: Die Fähre kann nicht auslaufen, ein technischer Defekt, irgendwo lief Wasser in das Boot und es schien keine Reparatur möglich zu sein.

Anlegemanöver der regulären Fähre
Welche Enttäuschung! Und die Suche nach Alternativen... ich erinnerte mich an die nahegelegene Insel Manija, die ich bei einem der Ausflüge des CraftCamps schon einmal besucht hatte und daß es dort auch eine Herberge geben sollte. Ja, es gäbe noch freie Plätze auf dem Hof "Riida Talu", die Wirtin käme auch am Abend vom Festland auf die Insel und wir könnten das klären.
Und so kam es auch, wir setzten mit der kleinen Fähre nach Manija über und wurden per Traktor-Anhänger zum Ferienhof gebracht.

Die Tage dort waren überschattet von dem Wunsch, doch noch nach Ruhnu zu kommen. Auch wenn wir die Schönheit dieser Insel und die Gastfreundschaft der Wirtin Ülle genoßen, immer stand die Frage, ob wir es schaffen könnten, im Raum. Als es dann möglich schien, konnten nur Pat und ich die Weiterreise dorthin planen, unsere beiden anderen Freundinnen hatten nicht mehr genug Zeit. Die geplanten Workshops waren auch nicht mehr möglich, denn Külli, unsere "Lehrerin", hatte keine Zeit mehr für uns, sie war an der Organisation des Violinfestivals auf Ruhnu beschäftigt, welches hoffentlich auch würde stattfinden können...

Die Fähre war noch immer nicht repariert, ein kleines "Ersatzboot" war avisiert und wir wurden darauf "gebucht" : two elderly ladies who do not speak Estonian but really want to go Ruhnu ...

Und wieder konnten wir nicht fahren - starker Wind machte die Überfahrt unmöglich - am vierten  Tag dann aber klappte es. Wir wurden nach Munalaid zurückgebracht, mit einem Zwischenstopp am Manija Museum (ein schönes EU-LEADER-Prohekt), und wir freuten uns als das "Ersatzboot" einlief - auch wenn die Ankündigung "It will be a hard drive" nichts Gutes ahnen ließ...

Das "Ersatzboot" läuft ein
Alle wollen nach Ruhnu
Nach einer weiteren Wartezeit (der Tankwagen zum Betanken des Bootes war nicht gekommen), wurden alle Koffer und Gepäckstücke in einer Ladeluke untergebracht und wir durften an Bord. Eine kleine Kajüte, die nicht alle 15 Passagiere fasste, bot uns und vier weiteren Passagieren Schutz, die anderen Passagiere blieben auf dem offenen Deck. Der sympathische Kapitän machte uns Mut, forderte alle auf, nocheinmal zur Toilette zu gehen, die Reise würde dauern... und dann stachen wir in See. Und los ging es - starker Wind, starke Wellen, das Boot tanzte wie ein Rummelplatzkarussel, und nach einer Stunde und Zwischenstopp im Hafen von Kihnu zum Auftanken, ging es weiter.
Das Ersatzboot im Hafen von Munilaid
Trost nach der Überfahrt

Ein Höllentrip! Das Schiff tanzte auf den vier bis fünf Metern hohen Wellen, schlug hart auf, die Wellen brachen sich über dem Boot, selbst durch die Lüftungsklappen kam Seewasser in die Kajüte - da half nur stoisches Ergeben und der Griff nach einer der Kotztüten, die bereit lagen.
Ein Passagier nach dem anderen wurde grün und grüner im Gesicht, ich schloß die Augen und hoffte auf ein Ende dieser Höllenfahrt.
Abends um 22:00 liefen wir erschöpft im Hafen von Ruhnu ein, sieben Stunden Fahrt lagen hinter uns, sieben Stunden, die wir wohl so bald nicht vergessen werden.

Luise, unsere Gastgeberin, umarmte uns herzlich, die Koffer wurden an Land gebracht, wir waren gerettet!

Das "Saunahaus" stand für uns bereit, und nach einer Kanne Tee und zwei Piroggen, die uns Luise brachte, fielen wir in tiefen Schlaf.

Pat and ich waren endlich angekommen!

So konnte ich meinen Geburtstag wie erhofft auf Ruhnu feiern, auch wenn ich feststellen musste, daß alles in meinem Koffer durchnäßt war und gewaschen werden musste.

Aber es wurden noch fünf wunderschöne Tage, wir feierten am 22. Pats Geburtstag und nachträglich auch meinen mit einer Kaffeetafel, "Cheese Cake with Berries", ein Traum!

Marion, eine Festivalbesucherin, spielte zu einem Geburtstagsständchen auf und die Sonne schien

Geburtstagskuchen

Wir ruhten uns aus, erholten uns, freuten uns, strickten, ich wusch die Wäsche und fand auf einem Baumstumpf einen wunderhübschen Schleimpilz, der ja eigentlich kein Pilz ist.
Wikipedia kann das besser erklären als ich.

Slime mold - "Schleimpliz"

Ja, Ruhnu ist wunderschön! Und tut gut, auch wenn die Insel es den Besuchern schwer macht.

Zum Abreisetermin dann war die Fähre repariert und wir boten all unser Vertrauen auf, schoben unsere Koffer durch strömenden Regen zum Bus, betraten die Fähre und landeten nach rund zwei Stunden auf der Nachbarinsel Saaremaa.

wie immer: für eine größere Darstellung auf ein Bild klicken!

Ein Treffen mit Erika Pedak, (VillaVolli), der Filzkünstlerin, am Busbahnhof von Kuressaare war zeitlilch noch "drin" bis wir per Bus nach Tallinn reisten.

Wir absolvierten nur ein kurzes Besuchsprogramm in Tallinn: einmal zu  Karnaluks, zu den Buchläden Apollo und Rahvaramaat, dann packte Pat ihren Koffer und reiste heute Nacht  ab, nach fünf  gemeinsamen Wochen zurück nach Denver. Ich fahre heute nachmittag gegen 15:00 nach Riga...

Das vierte Kapitel meiner Reise liegt nun hinter mir, es war aufregend, kräftezehrend und wunderbar!