Es ist ja nun wirklich kein Geheimnis mehr daß ich Zipfelmützen sammele, und zwar Mützen aus den Ländern rund um Nord- und Ostsee (mit ein paar Ausrutschern, so z.B. nach Hessen oder ins Appenzellerland). Es macht mir Freude, Gemeinsamkeiten und Unterschiede der verschiedenen überkommenen Kopfbedeckungen zu untersuchen und zu erkennen. Und ich stricke diese Mützen auch gerne.
So habe ich inzwischen eine Mütze aus dem hessischen Hinterland, der deutschen Insel Rügen, Mützen aus dem Appenzellerland, von Fair Isle, Island, Schweden und Estland studiert und gestrickt, teils nach Vorlagen, teils als Replik nach Museumsstücken. Und ich wurde und werde immer noch fündig in diversen Büchern, seien es alte Bücher über Kleidungstraditionen und Trachten oder neue Strickbücher.
Einige Rätsel habe ich noch nicht lösen können, vielleicht gelingt es mir, vielleicht nicht. So zum Beispiel die Frage, weshalb es in Lettland keinerlei überkommene Zipfelmützen gibt (abgesehen von den Schlafmützen), und auch aus Polen habe ich noch keine gefunden. Aber das wird vielleicht noch...
Im Blog der norwegischen Zeitschrift Bunad hatte ich bereits vor einiger Zeit eine schöne rote Zipfelmütze gesehen: Strikk lua til mannsbunaden fra Sunnmøre (Stricken Sie eine Männer-Mütze aus Sunnmøre) und nun fand ich eine weitere Anleitung für diese stolze Kopfbedeckung in dem wunderbaren Buch "Fishermen's Knits from the Coast of Norway", ein Buch, das nicht nur Modelle zeigt und Anleitungen enthält, sondern handfeste historische Informationen über die Kleidung der norwegischen Küstenbewohner enthält.
Eine geglückte Kombination!
Also habe ich auch diese Mütze gestrickt. Mit einer Wolle, die dem Maschenbild im Buch doch sehr nahe kommt, ich habe kein Rauma Finull Garn verstrickt, da habe ich keine Vorräte, sondern wieder mal Teksrena aus Litauen.
Eine Besonderheit dieser Mütze ist der mit Schlingen verstärkte Saum, nicht nur daß der Saum doppelt gestrickt ist (also ca. 5cm liegen doppelt), nein, es werden auch noch Schlingen auf der Außenseite angebracht. Dass eine solche Mütze dann sehr warm ist und den Kopf gut schützt, liegt auf der Hand. Da musste ich erst einmal üben... die nachstehende Galerie zeigt meine "Anstrengungen" (nein, wirklich nicht, das macht Spaß!)
Fishermen's Knits from the Coast of Norway
A History of a Life at Sea and Over 20 New Designs Inspired by Traditional Scandinavian Patterns
Line Iversen, Margareth Sandvik
Herausgeber : Trafalgar Square (13. Dezember 2022) Sprache : Englisch
Gebundene Ausgabe 172 Seiten
ISBN-10 : 1646011651 | SBN-13 : 978-1646011650
Die Schlaufen werden mit einer Stopfnadel auf der Mütze aufgebracht, ein kleines Rundholz (oder ein Bleistift) sorgen dafür daß alle Schlaufen gleich lang sind.
Eigentlich wollte ich die Mütze erst waschen, bevor ich mich an die Stichelei wage, aber eine Nachfrage bei den Autorinnen hielt mich davon ab. Ich solle erst die Schlaufen anbringen und dann, falls notwendig, die Mütze waschen, sonst wird das Maschenbild zu unterschiedlich.
Deshalb sieht die Mütze auf dem Bild noch recht ungleichmässig aus...
Ich habe erstmal mit einem kleinen Sampler etliche Wollreste verbraucht, bis ich diese Technik "in den Fingern hatte", und dann habe ich ein Paar Stulpen gestrickt, wo ich diese Kante dann einfarbig gearbeitet habe. Die große Mütze wird demnächst fertig!
Diese Art der Schlaufen-Rand-Bildung ist allerdings eine recht grobe Variante dieser Technik, die es in mehreren nordeuropäischen Ländern gibt: da werden richtige Plüschkanten gearbeitet, mit Mustern - eine Technik, die ich bisher nur bewundert habe, aber hoffentlich bald lernen kann - in einem Workshop beim Nordic Knitting Symposium 2023!
Jetzt folgt aber noch ein Ausflug in die norwegische Literatur! ich kenne mich in der norwegischen Literatur nicht gut aus, nun gut die Klassiker schon (Henrik Ibsen, Sigrid Undset, Knut Hamsun sind mir bekannt, schon seit Schulzeiten), aber Gegewartsautoren? Da musste ich bisher passen, denn der allseits gelobte Herr Karl Ove Knausgård ist mir doch zu testosteron-beschwert und egozentrisch, ich muss das Ego eines Einzelnen nicht tausende von Seiten lang wahrnehmen), Ingvar Ambjørnsen's "Elling" hat mich gut amüsiert, aber sonst?
Da fällt immer wieder der Name Jon Fosse - er wird gelobt und in den Himmel gepriesen.
Die Prosa des Norwegers Jon Fosse ist wahrhaft betörend. Sie gleicht den gregorianischen Gesängen des Stundengebets, sie schwingt sich psalmodierend empor, um dann wieder zu ihrem Grundton zurückzukehren, und dies in ständiger Wiederholung, bis der Leser wie von selber mitschwingt.
Er schreibt ohne Punkt, ohne Satzanfang und Satzende, ein strömender innerer Erzählfluss, der ersteinmal das Lesen erschwerte, mich dann aber in den Sog zog. Ich habe mich auf ihn eingelassen, eine erste Novelle "Das ist Alise" hat mich eingeführt in seinen Erzählstrom...
Mehrfach geschichtete Erzählebenen, immer wieder repetierte "sagte er...", "sagte sie...", daran gewöhnte ich mich, das waren die Anker in der Erzählung... wer spricht gerade, denkt gerade..
Und dann, auf Seite 40, das hier:
Jon Fosse - Das ist Alise (Novelle)
Herausgeber : Rowohlt Taschenbuch (1. März 2005)
Sprache : Deutsch
Taschenbuch : 116 Seiten
ISBN-10 : 3499238748 | ISBN-13 : 978-3499238741
.. Und es sieht warm und gemütlich aus, denn es ist ziemlich kalt, denkt er, es ist so kalt geworden, dass er weitergehen muss, er kann nicht stillstehen, dafür ist es zu kalt, denkt er und er geht weiter und er friert und es ist so kalt, dass er so schnell geht, wie er nur kann, und er weiß gar nicht mehr, wann es im Herbst zuletzt so kalt gewesen ist, denkt er, das muss irgendwann in seiner Kindheit gewesen sein, denn damals, so erinnert er sich jedenfalls, war es fast immer kalt und der Fjord war voll Eis und viel Schnee lag auf den Hängen, auf den Straßen, Eis und Schnee und Kälte, in den letzten Jahren dagegen ist es im Herbst eher mild gewesen, aber jetzt, dieses Jahr, hat die Kälte wieder zugepackt, denkt er, und er hatte gar keine Mütze mehr zum Aufsetzen, die alten roten Zipfelmützen mit dem Bommel dran, die er als Junge getragen hatte, die waren natürlich nirgends mehr zu finden, egal, wo sie nun hingeraten waren, denn wo kommen Mützen wohl hin?, denkt er, sie verschwinden einfach, die Jahre vergehen und irgendwo kommen die Jahre und die roten Mützen hin, denkt er, aber dann, denkt er, hat er ja eine Mütze gefunden, groß genug und gemütlich ist die, gelb und weiß, sicher eine von den Mützen, die noch von seiner Großmutter dalagen, die mit dem alten Olav, seinem Großvater verheiratet gewesen war, Opa Olav, der gestorben ist, als er selber noch so klein war, dass er sich nicht an ihn erinnern kann, an Opa Olav, aber erinnert sich dran, denkt er, dass die Oma so eine Mütze aufhatte, das hat sich ihm eingeprägt, so wie er sich so manches einprägt, natürlich weiß er noch, wie die Oma so eine Mütze aufhatte und er erinnert sich auch an den blauen Mantel, den sie anhatte, und in der Hand hatte sie einen Stock, denkt er, denn es ist glatt auf der Landstraße, über die Oma herankommt, darum hat sie einen Stock in der Hand, um sich zu stützen und auf den Beinen zu halten und nicht hinzufallen und sich die Gräten zu brechen, wie sie sagte, denkt er, und in der anderen Hand hat sie ihre Einkaufstasche, eine rote Tasche, und auf dem Kopf sitzt die gelbweiße Wollmütze, die er jetzt selber immer aufhat, an diesen kalten Tagen.
Ich denke, ich habe einen neuen Autor gefunden, den ich mir jetzt vornehme, ich möchte noch mehr von ihm lesen und dabei sein Schreiben erfahren... besser kennenlernen ... es lohnt sich sicherlich.