Das Jubiläum des lettischen Trachtenzentrums Sena Klets (Alter Speicher) in RIga habe ich hier auf der Wockensolle schon etliche Male angesprochen, ich habe schon einen Kurz-Bericht erstellt, man findet bei Facebook viele Fotos, es gab Fernsehübertragungen, die Medienaufmerksamkeit in Riga war groß.
Welchen Rang hat dieses Zentrum, was ist das Besondere?
Die Republik Lettland erklärte 1990 ihre Selbständigkeit von der Sowjetunion, defacto wurde dieser Beschluss allerdings erst am 21. August 1991 wirksam, und nur 5 Tage später gründete Maruta Grasmane das Trachtenzentrum Sena Klets. Eine turbulente Zeit, das Ende der sowjetischen Besatzung und der Beginn der Neubesinnung.
Maruta Grasmane ist Autorin dreier Bücher:
- 1995: Krustpils novada tautas tērps (Trachten aus dem Bezirk Krustpils)
- 2000: Latviešu tautas tērpi. Raksti. Izšūšana (Lettische Volkstrachten. Muster. Stickerei)
- 2012: LATVIESA CIMDI / 2015: MITTENS OF LATVIA / 2016: Handschuhe aus Lettland

Vaira Vīķe-Freiberga, Präsidentin Lettlands von 1999 bis 2007, mit dem Buch "LATVIESA CIMDI"
Inzwischen besteht das Zentrum 25 Jahre und hat eine feste Bleibe am Rigaer Rathausplatz gefunden.

25 Jahre Sena Klets
Welche Reputation das Zentrum sich erarbeitet hat, konnte man den Grußbotschaften (unter anderem von Vaira Vīķe-Freiberga), entnehmen. Die amtierende Kultusministerin, Dace Melbārde, nahm selbst an der Feier teil.

Dace Melbārde, die Kultusministerin, in einer "archäologischen Tracht" beim Brot-Brechen
Vom Rathausplatz zog der Festzug über die Daugava-Brücke zur Nationalbibliothek.

der Trachtenzug auf der Daugava-Brücke

Einzug in die Bibliothek
Aus allen Regionen des Landes waren die Teilnehmer und Gäste in ihren Kostümen angereist.

In der Halle vor dem Festsaal
Nach dem Einzug der Jubilare stellten sich die Teilnehmer der einzelnen Regionen auf der Bühne vor, eine Musikgruppe brachte dazu Volkslieder aus den jeweiligen Regionen dar.

Archaische Trachten

Auf der Bühne
Nach traditioneller Art brachen die Redner Brot und nahmen einen Schluck aus dem Wasser-Krug (in den vorher ein Silberstück getan war).
Welchen Einfluß die Trachten auf die zeitgenössische Mode haben, zeigte die Modenschau, bei der natürlich auch Handschuhe gezeigt wurden!

Modenschau: Alt und Neu
Drollig fand ich, wer bei der Verlosung Preise gewann. Linda Rubena vom Lettischen Nationalen Kulturzentrum war ebenso Preisträgerin wie Inna Valtere, eine Meisterstrickerin. Das Losglück bescherte ihr ein Exemplar des Handschuhbuchs, wo sie doch selbst Handschuhe für das Zentrum strickt;=)

Inna Valtere gewinnt das Buch
Leider waren die japanische, norwegische und deutsche Ausgabe des Buches noch nicht aus der Druckerei gekommen, wir hatten uns darauf sehr gefreut.
Wie klein die Welt der Handarbeitsmeister ist, wurde mir wieder bewußt, als ich im Untergeschoss die Ausstellung mit den Kunststrick-Decken von Riho Toomra sah, dem Meisterstricker aus Tallinn. Ihn habe ich in Tallinn kennengelernt und auf der Wockensolle auch schon mehrfach vorgestellt.

Riho Toomras Ausstellung
Erfüllt und freudig ging dieser Tag zuende, welch ein Fest.
Wir haben in Deutschland wohl nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen, bei uns sind die Traditionen abgeschnitten. Trachten sind altmodisch oder politisch unkorrekt, gehören nicht mehr zum Alltag und verschwinden aus unserem kulturellen Gedächtnis.
Ein Gedankenspiel:
Lettland hat ebensoviel Einwohner wie Hamburg. Können wir uns 200, 400 oder gar 800 verschiedene Hamburger Handschuhmuster vorstellen, also ein Paar aus der Eulenstrasse, eines aus der Wachtelstrasse in Dulsberg oder der Lerchenstrasse in Altona? Irgendwie nicht.
ja, Claudia,
du hast sicher recht, ich schaue zu sehr aus meinem nordöstlichen Winkel auf die Trachtenlandschaft und suche hier und finde nichts. Du hast uns ja deine Tracht beim Craft Camp gezeigt (das war wirklich eine Premiere!) und uns davon berichtet.
Ich habe auch Veröffentlichungen über Dinkelsbühler Trachten im Schrank und ein Buch über Perlenstrickereien im Fränkischen, es ist diese norddeutsche Ecke, in der ich lebe, die so gänzlich trachtenfrei zu sein scheint.
Ich stelle fest, daß ich heute Bilder von Trachten mit einem ganz anderen Interesse anschaue als früher, ich staune über die Vielfalt. Danke für die Links zu den Bildern.
Der Herr, den du auf dem Trachtenmarkt trafst, ist mir hier leider noch nicht über den Weg gelaufen…
Gruß nach München zurück!
Hallo Connie,
das muss ein wunderbares Ereignis gewesen sein!
Allerdings kommt es wohl auch auf die Perspektive an, wenn Du schreibst, dass es in Deutschland nichts Vergleichbares gibt: In Bayern wird schon sehr gerne Tracht getragen.
Allein der Trachtengau München und Umgebung zählt elf Vereine – dabei zählt er zu den kleineren Gauen. Da München als Großstadt ein Schmelztiegel ist bietet auch die Tracht hier ein vielfältiges Bild. Es werden die historischen Trachten, Münchner Bürgertrachten, getragen, die um 1800 bis 1840 entstanden sind (zu den Bürgertrachten zählen auch die Lechler –
http://www.lechler-muenchen.de/das-muenchner-gwand.html
– das ist das Viertel in dem ich wohne). Dann wird gerne die Miesbacher Tracht, eine Gebirgstracht in unterschiedlicher Ausprägung getragen – hier bewundere ich immer die unterschiedlichen gestrickten Strümpfe
http://www.festring.de/trachten-und-schuetzenzug/bilder/nggallery/ts/trachten-und-schutzenzug-2013/page/2
Seit dem 2. Weltkrieg wird aber auch die Schlesische Tracht noch gepflegt. Und weil es ein großes Interesse am Tagen der Tracht gibt, sich die Zeiten aber gewandelt haben und die Großstadt zwar ein Schmelztiegel ist, aber eine Tracht eine gewisse Bodenständigkeit widerspiegeln sollte, seit den 70er Jahren immer wieder erneuerte Trachten. Ein Dirndl oder eine Lederhose zu tragen ist hier nicht mehr altmodisch oder politisch unkorrekt.
Im Süden der Republik sieht es, was das Tragen von Tracht angeht, wahrscheinlich anders aus als im Norden. Obwohl ich im vergangenen Jahr auf dem Trachtenmarkt in Greding
http://www.heimat-bayern.de/index.php/zeige/index/id/97
einen Mann kennengelernt habe, der sich sehr für eine Tracht seiner Heimat oben im Nord-Osten einsetzte.
Beste Grüße aus München