Charlotte Leander, Anweisungen zur Kunststrickerei, 1843

Nun bin ich schon so oft gereist in meinem Leben, und doch schleicht sich immernoch vor der Reise der Gedanke "Soll ich wirklich fahren?" ein - der dann absolut entschlossen abgewehrt wird. Aber das Vorbereiten, das Zusammenstellen der mitzunehmenden Utensilien, Rezepte holen für die morgendlichen Tablettchen, Listenschreiben und letztendlich das Kofferpacken ist schon eine anregende Aufgabe, immer wieder stürze ich die Pläne um und entscheide mich dann doch wieder für die erste Auswahl...

Nun denn, dieses Mal kam noch ein ganz besonderer Stress dazu: in unserem Dorf wurde 2,5 Jahre nach Beginn der Arbeiten endlich Internet-Breitband freigeschaltet und bei allen Nachbarn funktionierte es reibungslos, bei mir, die seit fast 30 Jahren mit dem Netz zu tun hat, aber nicht. Ich habe mal wieder etliche Support-Hotlines erlitten, bis dann endlich die Erkenntnis, daß unser Hausanschluß wirklich nicht funktioniert, auch dort ankam. Und als es dann endlich repariert war (eine banale Kabel-Verwechslung), machte ich einen solch saudummen Fehler, daß ich mir eigentlich nur die Haare raufen konnte: beim Importieren von Daten aus der alten Box in die neue importierte ich auch Anschlußdaten der alten Box und damit war natürlich nun alles daddeldu... Und der Rat einer Hotline-Dame, dann mit einem Telefon eine gewissen Zahlenreihe einzutippen, um das Deseaster aufzuräumen, war natürlich auch besonders hilfreich, denn besagtes Telefon war bei der alten, noch funktionierenden Box eingeloggt und legte deshalb die funktionierende Netzverbindung auch noch lahm ... Saudumm!
Ich fand dann aber noch im hintersten Schrank ein altes Festnetz-Telefon, das ich direkt an der neuen Box einstöpseln konnte und mit dem ich dann die neue Box wieder lauffähig machen konnte... Aber jetzt funktioniert es wohl.

Schon lange wollte ich alle meine gestrickten Mützen fotografieren und das habe ich dann noch zustande gebracht.

Ich zeige sie hier nicht in aller Pracht, denn ich plane ja ein Büchlein mit solchen Mützen!

Aber so als mentale Vorbereitung auf das Hut-Museum in Riga und die Mützen-Auswahl im Archiv des Saaremaa Museums, die wir "geordert" haben,  stelle ich sie hier doch vor, wenigstens als Mützenstapel und auch im Seiten-Header als Gelände-Streifen!

Mützenstapel

Und morgen geht es erstmal nach Berlin. Nicht mit 9€-Ticket, sondern im "gering ausgelasteten" ICE von Greifswald aus, kostet auch nicht viel (Senioren-Sparpreis), und am Montag morgen hebe ich ab. Den Trubel am Bahnhof wegen der 9€-Tickets kann ich vermeiden, aber ob ich am BER entspannt einchecken kann? Man hört ja Böses von den Flughäfen...

In Riga dann treffe ich meine zwei Mitreisenden, Carol Christiansen und Sue Malvern, wir verbringen eine Woche in Lettland (Riga und Alsunga / Suiti), bevor wir zum CraftCamp nach Viljandi fahren. Bei jeder CraftCamp-Woche gibt es auch immer eine Ausflugs-Auswahl und ich habe mich für den Besuch in Türi beim Verlag von Anu Pink entschieden. Die Gegend dort kenne ich noch nicht und den Verlag möchte ich gerne besuchen, dort wurde ja auch ein LEADER-Projekt realisiert (das Photo- und Video-Studio ist von dem Europäischen Fonds für Ländliche Entwicklung finanziert) und ich bin ja seit Jahren in einer lokalen LEADER-Aktionsgruppe tätig, der Tag gilt also dann als LEADER-Betriebsausflug!

Danach geht es mit Riina Tomberg, Sue und Carol auf die Insel Saaremaa, wo ich auch meinen Siebzigsten feiern werde. Nächstes Ziel ist dann, nachdem Sue und Carol zurückreisen und Pat aus USA angereist ist, die Insel Ruhnu!!! Das ist dann mein dritter Versuch, auf diese Insel zu kommen. Und es war nicht einfach, Fährtickets dorthin zu buchen, denn die kann man nur mit Bankkonten bezahlen, die ich nicht habe. Wir haben aber jetzt eine Ausnahme-Regel, daß wir beide auf der Fähre nach Ruhnu und von Ruhnu direkt und in bar zahlen dürfen.

Tja, und dann folgt nach kurzer Zeit in Riga die Strickwoche von SENA KLETS, Let's Knit in Latgale! Im Osten Lettlands war ich noch nie, und ich bin deshalb sehr gespannt, und ich freue mich, daß der Abstecher nach Daugavpils zum Mark-Rothko-Zentrum doch noch ins Tourprogramm aufgenommen werden konnte. Mark Rothko fasziniert mich seitdem ich Kunst betrachte... Und ein kleiner Witz nebenbei: Mark Rothkos Familie lebte in Daugavpils (damals "Dvinsk") in der Shosseinaya Street, ich wohne in einer Chausseestrasse...

Ob ich meinem Vorsatz, keine oder nur ganz wenig Wolle zu kaufen, treu bleiben kann? Wir werden sehen...Auf jeden Fall wird das wieder eine spannende Zeit, fünf Wochen unterwegs mit interessanten und liebenswerten Menschen, mit Freude, Kunst und was zu  lernen... ich werde berichten!

Ich habe in der letzten Zeit meinen Reisebericht nicht weitergeschrieben, die Gründe dafür ? Vorbereitungen für den Workshop mit Riina Tomberg am 4. und 5. 10. in Greifswald und mein Ärger über die Wahlen am letzten Sonntag. Ich habe große Sorge, daß die entstehende Bundesregierung den Herausforderungen, die uns bevorstehen, in keinster Weise gerecht werden wird (werden kann); daß die Menetekel immer noch nicht verstanden wurden.

Diese Sorge lähmt mich sehr, da habe ich lieber im Sessel gesessen und vor mich hingestrickt. Ein Tuch ist fertig geworden und muß nur noch gespannt werden, eine neue Jacke braucht nur noch Knöpfe.
Stricken tut mir gut und nun freue ich mich auf die kommenden Tage!

Aber ich schreibe auch an meinem Reisebericht weiter. Es geht weiter in Kuressaare auf Saaremaa. Riina hatte den Besuch im Archiv des Museums vorbereitet und eine interessante Auswahl an Studienobjekten zusammengestellt.
 

Stücke aus dem Archiv des Saaremaa-Museums

Also zurück nach Kuressaare auf der Insel Saaremaa!
Wie wir wissen, haben die estnischen Inseln alle ihre ganz speziellen Trachten, ob kunterbunt wie auf Muhu oder weiß-dunkel wie auf Ruhnu oder weiße Striümpfe zu roten Legwarmern wie auf Vormsi,  aber die Insel Saaremaa toppt alles: hier hat noch jede Gemeinde ihre eigenen Farben, Muster, Accessoires! Ganz besonders viele Muster und Formen stammen aus den Gemeinden Jämaja und Mustjala, aber auch aus Kihelkonna.

Bisher habe ich erhaltene Mützen, Handschuhe oder Strümpfe von der Insel nur im Estnischen Nationalmuseum in Tartu gesehen, denn mein erster Versuch, das Museum in Kuressaare zu besuchen, scheiterte, die Textil-Bestände waren gerade verpackt und nicht zugänglich, das Archiv zog um. Dieses Mal aber hatte ich Glück, Riina hatte unseren Besuch angemeldet und auch schon eine Auswahl getroffen:

Fingerhandschuhe, Fäustlinge, ein typischer roter Schal, die eigenartigen Mützen...

Die Mützen! Rot mit schwarzen Streifen - die vorherrschende Farbkombination, Männer trugen früher meistens Mützen mit weißer Grundfarbe, dunkelblaue oder schwarze Mützen gehörten zur Trauerkleidung.
Diese Mützen waren fast immer innenseitig gefüttert (wie die Pottmützen ja auch).
Einige Exemplare aus Mustjala jedoch besitzen ein geripptes Bündchen, das nach innen geklappt getragen wurde. Und damit die Mützen nicht im Wind davon fliegen, wurden sie mit einem einfarbigen oder bunten, geflochtenen Band unter dem Kinn befestigt.

 

Das Archiv des Saaremaa - Museums hat im 2. Weltkrieg viele seiner Unterlagen verloren, so zeigen die Exponate oft noch die alten Archivnummern, aber die Daten dazu sind verlorengegangen. So findet man auch im Online-Archiv bei vielen Exponaten den Hinweis "muuseumi endistest kogudest, mille kohta andmed puuduvad;" - aus den ehemaligen Sammlungen des Museums, für die keine Unterlagen vorhanden sind.

Drei Mützenformen konnte ich bewundern:

eine Mptze mit abgestuften Abnahmen
Mütze aus Anseküla
Mützen aus Jämaja

Mützen mit Abnahmen, die zwischen den Musterstreifen plaziert sind.

Mützen mit "starker Abnahme", diese Mützen sitzen knapp auf dem Kopf, der längste Teil der Mütze hängt nach unten.
Diese Mütze aus Anseküla ist 62 cm lang!

Viele der Mützen aus Jämaha tragen Quasten aus Stoff- und Spitze verziert und zeigen einen deutlichen Rand: der Saum wurde gefaltet und der Anschlag wurde über dem ersten Musterband festgenäht.
Dadurch kräuselt sich der untere Teil der Mütze sehr. Zudem sind die unteren  Musterstreifen haben immer einen hellen Hintergrund.

Aber natürlich gab es nicht nur Mützen zu bewundern, deshalb binde ich noch eine Bilderauswahl hier ein. Interessant ist, daß die "Saaremaa Schals" gehäkelt und nicht gestrickt sind!

Bestellformular
Blick auf die Ordensburg in Kuressaare
Frau  mit Tuttmüts, Video-Ausschnitt

Zum Abschluß dieses interessanten Besuches unterschrieb ich noch das Tellimisleht - das Bestellformular und wir genoßen  ein leckeres Mittagessen im Kurgarten-Restaurant von Kuressaare mit Blick auf die Ordensburg, wieder einmal schien die Sonne für uns.

Bei dem Lied- und Tanzfestival der Küstenschweden, das wir später, am letzten Tag unserer kurzen Reise, in Haapsaluu besuchten, konnte ich dann diese Mützen auch außerhalb eines Museums-Archivs bewundern, wie das Bild aus einem Handy-Video zeigt.