Charlotte Leander, Anweisungen zur Kunststrickerei, 1843
Wir sind die Brandmauer!

Ich weiß, heute ist Weltfrauentag und das ist wahrlich kein Grund zum Feiern. Ich möchte aber heute keine Fensterpredigt halten, das würde mich zusehr herunterziehen, deshalb reicht es daß ich das Logo meiner Seite hier etwas angepaßt habe.

Das Thema beschäftigt mich hier auf der Wockensolle ja geradzu permantent, es gibt mehrere Beiträge dazu, z.B. hier der Text, den ich im November 2020 für die Ausstellung Freiheit - wolność geschrieben habe.

Deshalb binde ich heute hier einige Trouvaillien ein, die mir bei der Suche nach Informationen über die perlengeschmückten weißen Baumwollstrümpfe der Biedermeierzeit untergekommen sind.

Bisher ist es mir noch nicht gelungen, eine dezidierte Anleitung für diese Strümpfe zu finden, nur eine generelle Unterrichtung zum Strumpfsticken bei Frau Charlotte Leander im ersten Band ihres Werkes Anweisung zur Kunst-Strickerei. Eine Sammlung von den leichtesten bis zu den schwierigsten Arbeiten ohne Anderer Beihülfe allein ausführen zu können. oder eine ordentliche Reihe von "Modeln" für Strumpfränder bei fast allen der Strickdamen, Juliane Pauker, Charlotte Leander, Marianne Wolle, Antonia Kutschera, oder die verschiedensten Alphabete, die gleichermaßen für Strickerei wie Stickerei geeignet sind.

Aber einen Wert müssen die Strümpfe schon gehabt haben, sonst tauchten Sie nicht so oft in den Diebstahlsmeldungen der Amtsblätter auf ... wie z.B. im Amtsblatt der Königlich Preußischen Regierung zu Arnsberg aus dem Jahre 1834:

Amtsblatt der Kgl. Preußischen Regierung

Eine digitale Version, auch zum Herunterladen in verschiedenen Formaten bei Google Books

Rund 20 Diebstahlsmeldungen und zwei lange Listen über beschlagnahmtes Diebesgut fand ich in diesem Amtsblatt. Die Strümpfe wurden entweder auf der Bleichwiese oder bei Einbrüchen entwendet, und einige Besitzer traf es besonders hart.

Ein besonders erfolgreicher Diebstahl wird im Oktober 1834 aus Wattenscheid mit der Meldenummer 1207 gemeldet:

In der Nacht vom 29. auf den 30. September d. I. sind aus dem Hause des Winkeliers Georg Bomers zu Wattenscheid mittelst Einbruchs folgende Gegenstände Diebstahl zu
entwendet worden:

I. dem Georg Bomers

    1. ein großer sogenannter bergischer Wasserkessel mit einem schmalen Gehänge, 5 Kannen haltend, unten von rothem, oben von gelbem Kupfer, kenntlich daran, daß der Deckel viele Beulen hat
    2. eine zinnerne Kaffeekanne, ein Maaß haltend, glatt, mit einer Pfeife zum Ausschütten und mit einem ausgezackten Rande. Der Deckel war mit einem leinenen Band, der nicht geknüpft, sondern festgenäht war, daran befestigt;
    3. ein Paar alte wollene blaue Frauenstrümpfe;
  • ein Paar neue weiße wollene Mannssocken, jedoch schon getragen ;
  1. ein Paar alte graue wollene zerrissene Kinderstrümpfe.

II. Der Wäscherin Christina Hoffmann
drei Frauenhemden; 1 Betttuch ; 1 Tischtuch; 1 Handtuch; 2 Paar weiße baumwollene Frauenstrümpfe ; 1 Corsett; 3 Frauenmützen ; 2 weiße Kopftücher.

III. Dem Philipp Moſes Würzburger
3 Tischtücher; 15 Handtücher; 13 Servietten ; 18 Paar weiße baumwollene Frauen-Strümpfe, theils gestrickt, theils gewebt, 4 Damen-Kragen; 1 Tuch (weiß mit Tüllstreifen) ; 2 Spitzen von Tüll, sauber ; 5 bis 6 Nachthauben ; 9 weiße Nebelskappen ; 1 Mannshemd und 1 Frauenhemd; 3 weiße Kopftücher ; 8 weiße baumwollene Sacktücher ; 1 weißer battistener Unterrock; 2 weiße Schürzen mit Wollstreifen; 1 Unterhose von Parchent mit blauen Streifen ; mehrere Kleinigkeiten, die so genau nicht angegeben werden können, wie z. B. Halskragen (sogenannte Vatermörder), Ueberhemdchen für Erwachsene. Die Wäsche war zum Theil ungezeichnet, zum Theil mit P. W. roth gezeichnet.

Vor dem Ankauf warnend, ersuchen wir Jeden, der von den gestohlenen Sachen oder dem Thäter Auskunft erhält, solche sofort uns oder der nächsten Polizeibehörde mitzutheilen.

Bochum, den 15. October 1834.
Königliches Land- und Stadtgericht.

Dem Gutsbesitzer Böhmer wurden zwei Paar wollene Socken und 6 Paar wollene Kinderstrümpfe, wovon ein Paar noch nicht ganz fertig und noch mit Strick-Stöcken und Garn versehen war  entwendet, dem Colon Hodde zu Klei am 13. August d. J. von seiner in der Nähe des Hauses gelegenen Bleiche folgende Gegenstände:
3 Paar feine weiße baumwollene Frauenstrümpfe, gezeichnetH.; 2 Paar dito gez. C. H.;
1 Paar dito gez. K. H.; ein feiner weißer leinener Strumf, wovon der dazu gehörige 2te Strumpf auf der Bleiche zurückgeblieben ; ein flächsernes Betttuch; ein blau und weiß carirter Ueberzug zu einem Oberbette.

Unfertige Strümpfe, noch auf den Nadeln, oder unvollständige Strumpfpaare - alles wurde mitgenommen, gleich ob wollen oder leinern. Leider findet sich nur eine Meldung zu perlenbestrickten Strümpfen:

In der Nacht vom 23. auf den 24. März dieses Jahres sind dem Musicus Rusche hieselbst mittelst Einbruchs folgende Gegenstände:

.... 6) vier Paar baumwollene Strümpfe, von denen ein Paar mit hellblauen, ein Paar mit dunkelblauen und ein Paar mit rothen Perlen und zwar mit den Buchstaben J. M. gezeichnet waren ; ...

gestohlen worden.

 

Fazit:

Ob die Initialien, mit denen die Strümpfe gezeichnet waren, in den anderen genannten Diebstahlsmeldungen ebenfalls mit Perlen gezeichnet waren, erschließt sich nicht. Vielleicht waren sie ja so geschmückt, aber die Bestohlenen sowie die Amtspersonen haben diese  Feinheiten übersehen oder nicht der Erwähnung wert gehalten. Wir werden es nicht herausfinden.

Bündchen und Monogramm

Nach der zweitägigen Rundreise ging es am Freitag gleich weiter. In Dobele, in der Region Zemgale (Semgallen), war ein zweitägiger Workshop zum Thema "Ethnographische Strümpfe der Region Zemgale und moderne Socken" angekündigt und wir waren dazu eingeladen. Für diesen Workshop hatte ich mich ja auch richtig ins Zeug gelegt und nach einer Abbildung in einem lettischen  Trachtenbúch ein Paar schwarze Socken gestrickt.

Wir waren davon ausgegangen, dass das Thema "Ethnographische Socken" am ersten Tag und der zweite Schwerpunkt, zeitgenössische Strümpfe, am zweiten Tag des Workshops stattfinden würde. Aber bereits nach der Mittagspause wurden neue und bizarre Konstruktionsmöglichkeiten vorgestellt.
Aber der Reihe nach,,,

 

ein wunderschöner Strumpf aus Dobele

Nach der Vorstellungsrunde (ich schätze, wir waren 20 Teilnehmerinnen), zeigte die Kursleiterin einige Prachtexemplare und benannte deren Eigenheiten, und stellte uns dann eine Aufgabe, die wir bewältigen sollten.

Die bekanntesten Muster aus Zemgallen  sind die Rosetten auf schwarzem Grund, daneben gibt es wiederum auf schwarzem Grund leuchtend bunte Blüten oder Sterne, in Inlay-Technik gearbeitet.

Das Bild links zeigt ein Exemplar, das ich auf jeden Fall einmal stricken möchte, leuchtende Musterstreifen auf einem neutralen Grund, ich werde das sicherlich vom Foto "nachstricken" können. Darauf freue ich mich schon.

Zu unserer Überraschung erhielten wir eine Mappe mit Anleitungen (Fotos und Charts) für acht Strumpfpaare, Anleitungen, die ich noch nicht in anderen Strickbüchern gefunden habe, die bisher noch nicht veröffentlicht waren.

Der schöne bunte Socken auf dem Bild rechts zeigt  dreifarbige Blüten, die von einfarbigen Sternen rechts und links eingerahmt werden.
Ud unsere Aufgabe bestand darin, drei solche verschiedenfarbige Sterne in der Runde zu stricken.

Da wird nicht wie beim mehrfarbigen Stricken, das ich ja schon beherrsche, ein kontrastfarbiger Faden in der Runde mitgeführt, nein, je nach Notwendigkeit wird pro Musterfarbe ein eigenes kleines Knäuelchen verstrickt.

Inlay_Technik

Schon bei drei jeweils einfarbigen Sternchen kam ich mit den drei Knäuelchen in den Tütel, ich kann mir (noch nicht) vorstellen, so ein richtig buntes Musterbild fehlerfrei zu stricken!

Aber eines habe ich gelernt und mir gemerkt: der einzuwebende, vor die Maschen zu legende Faden, muss immer unter dem Strickfaden geführt werden, sonst liegen die Fäden schief vor der Grundfarbe und das sieht gar nicht gut aus. Drei Sternchen strickte ich, das erste war schief und krumm, das zweite schon etwas besser und das dritte war dann ganz ordentlich...

gewebt

In den anderen Räumen des Zentrums wurden die verschiedensten Arbeiten der Gruppe präsentiert, und in einem separaten Raum waren dann die Prachtexemplare auf einer interessanten Holzkonstruktion drapiert.

Das "Dobele-Muster", die Rosetten auf dunklem Grund, war gleich mehrfach präsent, in verschiedenen Farben, mit verschieden Lösungen für den Fuss, so zum Beispiel einmal mit Rosetten auf dem Oberfuss und zweifarbig geripptem Unterfuss.

Dieses Muster wird aber nicht nur gestrickt, es wird auch gewebt, wie ein schöner dunkler Rock mit violetter Kontrastfarbe zeigt.

Ich legte meine mitgebrachten Strickstücke auch aus und wurde nicht ausgebuht...

Nach der Mittagspause wurde das Thema gewechselt und es ging dann um neuartige Sockenkonstruktionen. So lautete eine Aufgabe, von der Ferse aus loszustricken, für ein anderes Modell (mit "langen Nadeln" in 42 Reihen zu arbeiten) bekam ich die Anleitung geschenkt, die werde ich mal studieren.. aus reiner Neugierde!

Marktplatz in Dobele

Wir haben uns dann verabschiedet und noch einen kleinen Rundgang durch den Ort unternommen, Auf dem großen Marktplatz beeindruckte uns der wirklich sehr spezielle Brunnen.

Ich bin gespannt, welche der Strümpfe ich wohl im kommenden Herbst / Winter stricken werde... Anregungen haben wir genug bekommen!

Nachstehend nun noch eine Galerie der schönsten oder beeindruckendsten Exemplare!

wie immer: für eine größere Darstellung auf ein Bild klicken!

Und hier noch einige zeitgemäße Modelle!