Charlotte Leander, Anweisungen zur Kunststrickerei, 1843

Eine sehr sehr ruhige Zeit. Mein Studienaufenthalt in Schönberg im Museum kann nicht stattfinden, der jährliche große Martinsmarkt in Tallinn (Mardilaat) ist in den virtuellen Raum verschoben worden, die Krankheit weitet sich weiter rasend schnell aus und die unselige Mischung aus Corona-Leugnern und Rechtsradikalen verheert die politische Landschaft.
Den mangelnden Respekt vor dem Leben und der Freiheit haben sie wohl von dem amerikanischen (Ex-)Präsidenten mit dem toten Tier auf dem Kopf übernommen. Am Tag der Reichskristallnacht, dem Tag des Gedenkens an die Opfer der deutschen Nazi-Herrschaft, will Pegida demonstrieren.
Die unheilige Allianz des Aserbeidschanischen Regimes mit dem Möchtegern-Sultan vom Bosporus bringt Krieg und Vernichtung nach Artsakh und Armenien, eine Region, die mir sehr am Herzen liegt und unsere Außenpolitik? Die schweigt dazu.

Es erscheint mir als ob alle bösen Geister entfesselt sind, als ob die Dummheit, Ignoranz und Aggression sich nunmehr ungehemmt ausbreitet, alle schlechten Eigenschaften der Menschen zu Tage treten können. Schon immer waren in Seuchenzeiten entfesselte Scharlatane, Kriegslüsterne und, ja auch, Frauenfeinde unterwegs, griffen Verschwörungstheorien um sich und verloren die Menschen alle Hemmungen. Kultur ist anscheinend nur eine dünne Schicht und verdeckt nur schwerlich Wahn und Agressionen, Wissenschaftsleugnung und Zynismus - ich empfinde diese Zeit gerade als Zivilisationsbruch.

Wir alle vermissen den Kontakt mit Freunden und Gleichgesinnten und ich muss mitansehen, wie einige Freundinnen in Depression fallen. Aber ich denke es geht nicht anders. Wir müssen vorsichtig sein, Corona ist eine schlimme Krankheit und wenn wir sie in unserer Umgebung angeblich nicht wahrnehmen dann ist das doch nur ein Zeichen dafür wie gut wir (im Gegensatz zu anderen Ländern und Regionen) bisher durch die mißliche Pandemie gekommen sind.  Wir müssen die Krankheit verhindern und bekämpfen und dürfen sie nicht leugnen! Ich bitte Sie von Herzen, seien Sie vorsichtig und besonnen, passen Sie auf sich und auch auf die Menschen in ihrer Umgebung auf und bleiben Sie gesund!

nun aber zu Erfreulicherem!

Der Artikel über den Pottmützenworkshop in der Ostseezeitung hat große Wellen geschlagen, Ich erhielt viele viele Anfragen. Ob ich nicht eine Mütze verkaufen könne  - oder eine Mütze stricken - das waren die häufigsten Fragen.
Und diese habe ich verneint. Ich habe die Anleitung erstellt und der Heimatverband MV stellt sie zusammen mit mir kostenlos zur Verfügung, ich möchte ja nicht den Rest meines Lebens ununterbrochen Mützen stricken, dazu habe ich noch zu viel vor! Aber es macht mich auch ein wenig traurig. Immer wieder bekomme ich zu hören, daß man eben leider nicht selbst stricken könne - ein Argument, das ich so nicht stehen lassen möchte.

Stricken kann man lernen. Es gab mal Handarbeitsunterricht, es gibt Kurse in den Volkshochschulen etc., die Buchläden sind voll mit Anleitungsbüchern für Anfänger und Fortgeschrittene, im Internet findet man Tausende Tutorials und Anleitungsvideos -  also warum nicht sich hinsetzen und es versuchen? Neugierde ist eine gute Lehrerin! Und Selbstgestricktes ist allemal nachhaltiger als Zusammengekauftes! Warum sind so viele Menschen so zögerlich und nicht bereit, mal etwas auszuprobieren?
Ich wäre nicht so glücklich wie ich heute bin (trotz aktueller Eintrübungen), wenn ich nie etwas dazugelernt hätte, wenn ich nie neugierig gewesen wäre und mit Geduld geübt hätte.

Piecework Herbst 2020

Es gab aber auch wirklich wunderbare positive Rückmeldungen und Anrufe. Ich bin mit Spinnerinnen von der Insel Rügen ins Gespräch gekommen und Kontakte verfestigen sich. Und es gibt schon Anmeldungen für den nächsten Workshop in Rostock am 5. Dezember! Auf der Seite des Heimatverbandes MV gibt es dazu Informationen und ein Anmeldeformular. Wenn Sie sich dort anmelden, beantworten Sie bitte auch die Fragen. Der Workshop setzt einige Strickkenntnisse voraus!

So. Und eine kleine Neuigkeit noch: Aus Jux habe ich eine neue Domain eingerichtet: https://www.pottmuetze.de! Das ist aber zur Zeit noch nur eine Weiterleitung auf die Pottmützen-Seite hier bei der Wockensolle, vielleicht kann ich den Inhalt ja irgendwann weiter ausbauen.

Ich habe zu Anfangs schon geschrieben, daß der alljährliche Martinsmarkt in Tallinn dieses Jahr nur virtuell stattfinden konnte. Die Veranstalter haben eine Webseite gestaltet, auf der die Teilnehmer und Aussteller vorgestellt werden und auch Neuigkeiten veröffentlicht wurden. Diese Seite ist noch für einige Zeit online und wenn Sie sie in einem Browser öffnen, der Webseiten schnell und gut übersetzen kann (also z:B. Chrome), dann muss man auch kein Estnisch können um sich an dem interessanten Inhalt zu erfreuen.

In der  Übersicht und den Vorstellungen der Aussteller, in dem Abschnitt "kudumit - knitwear" trifft man auf Külli Jacobson aus Setomaa und auf Riina Tomberg, die Handarbeitsvereinigung aus Haapsalu mit einer wunderhübschen Kaidi-Kätlyn auf dem Foto  - ich kann sie nicht alle aufzählen!

Die unglaubliche Vielfalt des estnischen Kunsthandwerks diesmal also online - immerhin!

Haapsalu Handarbeitsorgansiation

Kaidi-Kätlyn mit einem Schal aus Haapsalu!

Und jetzt einige Mardilaat-Videos, die mir besonders gut gefallen!

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EIn Besuch in Riina Tombergs Geschäft im historischen Gewölbe des Hauses Pikk 22, dem Sitz der Estnischen Handarbeitsvereinigung!

Ich bin immer wieder bezaubert von ihren wunderschönen Kreationen!

Anu Randmaa aus Töstamaa stellt die estnische Stricktechnik "Roosimine" vor, eine Technik, bei der Faden der Kontrastfarbe nicht mitgestrickt wird sondern vor dem Strickstück quasi mitgewebt wird.
Ich hatte das Glück, beim Nordic Knitting Symposium 2018 einen Workshop mit Anu besuchen zu können und im letzten Sommer besuchte ich mit einer Gruppe des Craft Camps das Handarbeitszentrum in Töstamaa.
Dort sollten Sie unbedingt vorbeischauen wenn Sie in der Gegend sind!

Morgen binde ich noch weitere Videos ein, sie sind einfach zu interessant.

Ich höre sehr gerne und oft Radio und manchmal denke ich ich sollte einfach einen Knopf drücken können und eine Sendung aufnehmen. Das muss ich aber gar nicht, denn viele Sendungen sind auch online in der ARD Audiothek gespeichert und recht lange nachhörbar. Die Sendungen dort können jederzeit abgerufen oder heruntergeladen werden. Je nach Gerät einfach so als Download auf den PC oder mit einer App, naja wenn man nicht gerade ein Microphone-Handy nutzt.
Die einzelnen Sendungen kann man in der APP auch abonnieren und versäumt so keinen Beitrag und kein Kapitel eines Hörbuchs oder einer Lesung. Beim Stöbern konnte ich gar nicht genug Beiträge auf die Merkliste setzen, jetzt muss ich nur noch alle hören...

ARD Audiothek Logo

Jeder der mich kennt, kann erraten welche Suchbegriffe ich da so eingegeben habe, natürlich "Lettland, Estland, Stricken, Wolle, Tristan da Cunha" und noch ein paar. Und habe dann auf Gut Glück den Beitrag  Tradition und Heimat - Notizen aus Estland ausgewählt. In dem Bericht des Bayerischen Rundfunks geht es um Stadtführungen per Rad durch das Talliner In-Viertel Kalamaja (sehr vertraut...), um die wunderbaren estnischen Schaukeln, auch darüber habe ich hier schon geschrieben, und dann zu meiner Freude ab Minute 8:20 auch ums Stricken!

Die junge Reporterin besucht das Spitzenzentrum in Haapsalu, das Pitsi Keskus, und zwar zusammen mit Embi, einer Deutschlehrerin aus Haapsalu. Embi kenne ich gut, bei meinen Besuchen dort habe ich sie und Anne Rekaro ja öfter getroffen und auch beim Mardilaat in Tallin liefen wir uns über den Weg. Und nun höre ich sie im Radio. Ich freue mich daß ich den Beitrag in der Audiothek gefunden habe und habe ihn mir natürlich gleich gesichert. Den Ausschnitt über den Besuch im Pitsi Keskus können Sie hier auch hören. 

Treffen in Haapsalu

Unsere kleine Reisegruppe mit den Freundinnen aus Haapsalu im Sommer 2017, v.l,.n.r.:
Anne Rekaro aus Haapsalu, Sue aus England, Christiane aus Deutschland, Embi, ich  und Ewa aus Bahrain und Deutschland.

Und wenn ich ein bißchen lästern darf: Dieser Beitrag ist gut gelungen, mit einem kleinen Fehler (ich glaube nicht daß das Spitzenzentrum in einem alten Holzhaus untergebracht ist, es sah für mich immer sehr nach Beton aus..), hätte ein Mann diesen Beitrag erstellt, wäre das Stricken entweder gar nicht zum Thema geworden oder nur sehr oberflächlich vorgestellt worden. Kompliment!

Haapsalu ist ein gemächlicher Ort an der Küste mit einer langen Ferien- und Badekur-Tradition, früher ein Treffpunkt der deutsch-baltischen und russischen Aristokratie, wie man im Stadtmuseum lernen kann.
Und da die russischen Gräfinnen abends auf der Promenade ihre schönen Spitzenschals aus Orenburg spazierenführten, kamen die Haapsaluer Frauen auf die Idee, das Haushaltsgeld mit Stricken aufzubessern und die Muster weiterzuentwickeln. Das war der Beginn des Haapsalu-Schals! Bei meiner ersten Reise nach Haapsalu hatte ich das dortige Spitzenzentrum besucht und die dort ausgestellten Arbeiten bewundert und dabei eine wunderbare Freundschaft geschlossen mit Anne Rekaro. Das Lace-Center hat eine eigene Webseite und wenn ich mir die Fotos dort betrachte, sehe ich viele mir inzwischen bekannte Gesichter.

Im Lace Center in Haapsalu

Im Lace Center in Haapsalu

Im Lace Center kann man wunderbare, mehr oder weniger modische Arbeiten bewundern, die Materialien erstehen, die man so braucht oder sich am Dienstagnachmittag mit den Strickerinnen treffen und ihnen beim Plausch zuhören oder ihre Fertigkeiten bewundern.

Garnangebot im Lace Center

Garnangebot im Lace Center

Ich habe schon soviel HEA Lace Garn, aber bei dem Türkis und dem Silbergrau konnte ich nicht wiederstehen.

Wir waren an diesem Tag aber nicht nur im Lace-Center, wir haben das Stadtmuseum besichtigt, die Handarbeitsgeschäfte (es gibt mehrere!) durchstöbert, waren am Strand und haben abends dann im Restaurant Kärme Kuulik mit Anne und Lembi, der Deutschlehrerin des städtischen Gymnasiums, gespeist.

Wie immer: für die Anzeige der Bilder auf die Vorschaubilder klicken!

Und gerade erst ist ein neue Veröffentlichung angekündigt worden: ein Jahreskalender für 2017 mit dreizehn Schals aus Haapsalu, samt Anleitungen, Charts und Infos!

Haapsalu - Wandkalender für 2017

Haapsalu - Wandkalender für 2017

Zu bestellen im Webshop von Saara.ee

Nach einem letzten (wirklich?)  Besuch bei Karnaluks in Tallinn (liegt ja auch an der Ausfallstraße...) ging es nach Haapsalu. Wir nahmen die Nebenstrecke, dann ich erinnerte mich an die landschaftlichen Schönheiten der Strecke, die vorbei an kleinen Dörfchen durch wunderbare Wälder geht... und an die Klosterruine von Padise, die auf jeden Fall einen Besuch lohnt.

Der Himmel über Estland

Der Himmel über Nordwest-Estland

Es ist einfach wunderbar, durch diese herrliche Landschaft unter diesem herrlichen Himmel zu fahren! Aber es gibt auch lohnende Stopps: Padise. Eine Klosterburg-Ruine und ein Gutshaus.

Ich war hier schon im letzten Herbst, bei grauem Regenwetter, kein Vergleich!

Die Klosterburg von Padiste

Die Klosterburg von Padiste

Eine Zisterzienserburg aus dem 13. Jahrhundert, ein klassizistisches Gutshaus, das heute als Hotel dient und sehr leckere Pfannkuchen auf der Karte hat.

Im Gutscafé von Padise

Im Gutscafé von Padise

Ja, aber die Hauptattraktion für uns Strickerinnen war das große Stallgebäude, in dem die Tourismusinformation und der örtliche Handarbeitsladen untergebracht sind.

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Kann man solch einen Laden ungekauft verlassen? Wir können das natürlich nicht, Ewa ersteht wunderbar schafig-duftende weiche Wolle für ein Babyjäckchen und Claudie greift bei einem Strang feiner naturfarbener Wolle für einen Schal zu (100g = 2€!)... ja, und langsam nähern wir uns Haapsalu, dem Ferienort an der Küste.

Wir haben eine große Ferienwohnung angemietet für unseren Aufenthalt, und verbringen den Rest des Tages wie Kurgäste: gemütlich Kaffeetrinken an der Promenade, im Einkaufszentrum die Lebensmittelabteilung durchstöbern (Kama!) wie auch den Buchladen, im Städtchen flanieren.. Ferien eben.

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Auf dem Programm für den nächsten Tag steht der Besuch im Museum, im Spitzenzentrum, beim Eisenbahnmuseum und am Abend dann ein gemütliches Abendessen mit unseren Bekannten aus Haapsalu, Anne und Lembi.

Alles hat wunderbar geklappt, unser Leihwagen stand vollgetankt vor dem Hotel parat und bei dem Abendessen im Restaurant im Teliskivi-Bezirk kam dann auch noch Ewa, unsere vierte Mitreisende, zu uns dazu. Nun sind wir komplett.

Unsere Beute

Unsere Beute aus dem Paradies von Karnaluks

Nach dem Kaufrausch in Tallinn brauchten wir frische Luft und Kultur und das bietet das Estnische Freilichtmuseum in Hülle und Fülle. Nette Gespräche mit den Damen, die die einzelnen Häuser "bewachen" oder "hüten", viel Grün und viel Interessantes zu sehen. so bekam ich wunderbare Hardanger-Stickereien gezeigt und wir haben uns dann auch gleich für den St. Martins-Markt im November verabredet.

Im Kolonialwaren

Im Kolonialwaren-Laden

Dann haben wir uns von Simone verabschiedet, die am Sonntagnachmittag in die Schweiz zurückflog, ihre Begeisterung und ihr Lachen war sehr ansteckend.

Die Tür zum Paradies

Die Tür zum Karnaluks-Paradies

Ewa kannte Karnaluks noch nicht und so legten wir vor der Fahrt nach Haapsalu doch noch einen Stop ein. Diese unscheinbare Tür führt direkt ins Kurzwaren-Paradies und ich mußte mich schon sehr beherrschen.

Wir genossen nach  den Tagen in der Stadt, zwischen den vielen Menschen und den Nächten in den kleinen Hotelzimmern mit wenig frischer Luft die weite estnische Landschaft und den grossen Himmel umsomehr. In Padiste bei der Klosterruine entdeckten wir auch einen Handarbeitsladen, und gestärkt von Kaffee und Pfannkuchen auf der hochherrschaftlichen Gutshausterrasse konnte ich den Verlockungen hier doch widerstehen.

Die Klosterruine von Padiste

Die Klosterruine von Padiste

Padiste Kääsitöö

Padiste Kääsitöö

Trotz guter Vorsätze wanderten aber doch ein paar Knäuel über die Theke;=)

Wenn Engel reisen...

Wenn Engel reisen...

Haapsalu ist ein nettes kleines Städtchen mit einer schönen Kurpromenade und vielerlei Verlockungen, gastronomischen und wolligen.

In der Bar Hugo an der Promenade

In der Bar Hugo an der Promenade

Den Rest des Tages ruhten wir uns in dem geräumigen Apartment aus, strickten, diskutierten über estnische Getreidesorten ("Kama" ist das Zauberwort) und ... was soll ich jetzt berichten? Es tut alles gut und alles macht Freude!

Und heute geht es ins Museum, ins Lace-Center und zum Treffen mit den Damen aus dem Lace-Center beim Abendessen. Wieder habe ich einen schönen Tag vor mir!

PS: Und wie immer: nach der Reise nehme ich mir die Zeit und beschreibe alles ausführlicher,