Stricken ist ja inzwischen ein Mordsgeschäft und da verschieben sich selbstverständlich auch die Prioritäten bei der Verlagsarbeit.
Ein klassischer Fachbuch-Autor (und eine Strickbuch-Autorin ist ein klassischer Fachbuch-Autor) kennt schon bei der ersten Verlagsbesprechung das Thema des zu schreibenden Buches, da es sich ja um Thematik aus ihrem/ seinen Fachgebiet handelt. Will man also einen Band zum Thema "klassische nordische Pullover" schreiben, plant man den didaktischen Aufbau des Buches, stellt die geigneten Anleitungen und Abbildungen zusammen, läßt die Modelle von Teststrickerinnen und Teststrickern nachstricken und übergibt daran anschließend das Buch im 1. Status (sozusagen das verpuppte Buch) an das Lektorat. Am Ende steht dann das Buch im Verlagsprospekt wie ein schöner Schmetterling und es wird seine Leserinnen und Leser finden.
Die zweite Buch-Gruppe sind die Schnellschüsse, kurze themenbezogene Büchlein, fast noch Prospekte, die das Wesentliche auf wenigen Seiten zusammenfassen und mit Allerwelts-Anleitungen aufpolstern. Hier geht es um aktuelle Themen (also um die Wutz, die gerade durchs Dorf läuft, z.B. die Tomatensocke) und eine weniger bekannte Redakteurin oder auch eine bekannte Autorin zeichnet für das Werk verantwortlich. Das Werk soll handlich sein, in die Stricktasche passen, unter 9,00 € kosten und schön bunt sein (das Auge strickt mit!). Einige dieser Bändchen halten sich auf dem Buchmarkt, andere verschwinden schnell wieder.
Die dritte Buch-Gruppe allerdings, und darauf will ich mit diesem Textchen hinaus, hat eigentlich gar nichts mit der Handarbeitstechnik zu tun. Überschlaue Marketing-Jüngelchen mit gegeltem Haar haben (z.B. bei ihren Geschäftsreisen im ICE, wenn sie mal von ihren Eipadds aufschauten oder gerade nicht lautstark telefonierten) wahrgenommen, daß immer mehr gestrickt wird und da muß man doch was draus machen können.
Zielgruppe: Trendsetterinnen, denen es nicht ums Stricken geht, denn das ist eigentlich viel zu banal, die aber beim Hype dabeisein wollen. Da geht es nicht um Anleitungen (wie stricke ich einen Raglanpullover), Ziel ist nicht das Wissen, den Horizont der Leserin zu erweitern, nein, Ziel ist der Leserin / Käuferin ein exquisites, exklusives Erlebnis zu vermitteln. Da ja bekanntlich Konsum das Ego stärkt (jedenfalls in der Marketing und RTL-Welt) und das Ego immer neue und stärkere Reize braucht, muß man sich eben immer mehr einfallen lassen. Hauptsache, die Aussage auf dem Titel ist stark genug und gibt der Käuferin das gute Gefühl, mehr zu wissen als alle anderen, die sich so old- school-mässig bei Ravelry und Co, informieren und austauschen.
Everything the Internet Didn't Teach You about Knitting ist der beste Beweis für solche Bücher, die die Welt nicht braucht (weil es das alles schon gibt):
Eine Behauptung wird aufgestellt (Das Internet hat dir heimtückisch die Wichtigkeit der Maschenprobe verschwiegen) und dann kommt eine Binse nach der anderen, die sowas von banal ist, nur durch die Exklusivitäts-Aussage geadelt sozusagen.
Verschwende nicht wertvolle Zeit mit der Suche im Internet, hier sind alle Antworten .. na, eine kurze Eingabe bei Wikipedia, einmal bei Tante Google oder bei Ravelry nachgeschaut, und schon ist dieser Anreißer widerlegt,
Wer soll solch ein Machwerk kaufen? Eine internet-kritische Tante, die ihre Nichte mit dem wahren Wissen jenseits von http:// und www. ausstatten aber auch nicht altmodisch sein möchte oder die Trendsetterin, die die üblichen Wege der Kulturvermittlung meint abtun zu müssen?
Ganz besonders krude ist der Band Domiknitrix: Peitsch dein Strickzeug in Form für hip cutting-edge crafters.
Was heutzutage eine echte Domina sein will, die setzt sich nicht mehr ins Schaufenster in der Herbertstraße, dirigiert ihre Sklaven nicht mehr per versteckte Botschaften in toten Briefkästen durch nächtliche fremde Großstädte, informiert sich nicht mehr auf den einschlägigen Fachmessen über die richtigen Mieder und die passende Atelier-Ausstattung, nein die hippe Domina peitscht ihre Jackenvorderteile und strickt in der Missionars-Stellung.
Dieses Werk gibt's sogar als kindle-Ausgabe für den E-Reader!
With a fun package, bound in "leather", this sexy and campy design is sure to be talked about by hip cutting-edge crafters. Not your mother's knitting book, "DomiKNITrix" is all about bringing discipline to knitting and then using that discipline to create funky and hip projects that knitters want to wear, use, and give away with pride. Based on the popular Web site of the same name, this book will show hip crafters fun ways to tweak designs and give them a unique edge. More than just a collection of projects, this book gives you all the information you need to become an accomplished knitter in terms of tips, techniques, things to avoid, all in a fun and useful package. Jennifer Stafford runs the popular web site and blog: domiKNITrix.com, filled with knitting techinniques, projects, inspiration and attitude, knitwear for the chic and the freak.
Gestricktes für Chice und Freaks. Na ich weiß nicht. Jennifer Staffords Domina-Strick-Blog ist seit 2011 verwaist, wahrscheinlich hat die Idee doch nicht so richtig getragen. Für mich wieder mal ein Beispiel für "Ich will auch mal unartig sein, aber ganz ohne Risiko". Hausbacken bescheuert eben. "sure to be talked about by hip cutting-edge crafters." ???? Sicherlich nicht. Ab ins Altpapier. Oder drauf auf die Lösch-Taste!
Und:
Watch me on YouTube || Follow me on twitter || Friend me on Ravelry || Wear me on Spreadshirt || Buy me on Etsy
ist zwar im Imperativ verfaßt, aber so richtig dominant ist Madamchen bei diesen Aufforderungen denn doch nicht, sie befiehlt nicht, sie bietet sich an, prostituiert sich.