Charlotte Leander, Anweisungen zur Kunststrickerei, 1843

Seit drei Jahren gibt es das Spitzenzentrum in der Karja-Straße in Haapsalu und es hat vielfache Aufgaben: es ist Museum, Geschäft, Treffpunkt und Schulraum.

Pitsikeskus, das Spitzenzentrum

Pitsikeskus, das Spitzenzentrum

Seit ich von diesem Zentrum gehört und die wunderbaren Schals gesehen habe, wollte ich dieses Zentrum besuchen und dafür bietet sich am besten ein Dienstag an, denn am Dienstag nachmittag treffen sich hier Damen jeden Alters zum gemeinsamen Stricken, Plauschen und auch zum Lernen, denn es werden immer wieder Kurse oder Vorführungen für jedwede Handarbeitstechnik durchgeführt.

Am Vormittag hatte ich mich schon im Laden umgesehen und die ausgestellten Tücher, Schals etc. bewundert, mich beim Kauf von Garn zurückgehalten und auch kein fertiges Tuch erstanden, denn ich möchte mir ja selber ein Tuch oder einen Schal stricken.

Neben den traditionellen Tüchern und Schals werden auch Puppenkleider gezeigt und Lampenschirme, alles was sich bestricken läßt... Interessant sind die Musterbücher und die Muster-Sampler, eine ganze Wand ist mit gerahmten Samplern samt Strickschrift gefüllt.

wie immer: für die Anzeige auf die Vorschaubilder klicken!

Als ich zum Stricktreff eintreffe, werde ich auch gleich den versammelten Damen vorgestellt und eingeladen, mir alles genau anzusehen und meine Fragen zu stellen.  Anne Rekkaro kommt gleich auf mich zu und beginnt ein Gespräch mit mir. Sie spricht fließend Deutsch, denn sie wurde als Deutsche geboren und wurde 1946 von einer estnischen Familie adoptiert. Ihre Mutter und Geschwister waren verhungert und sie selbst wurde nur durch großes Glück vor dem gleichen Schicksal bewahrt.

Anne Rekkaro

Anne Rekkaro

Ihre Lebensgeschichte und ihre Haltung beeindrucken mich und so sprechen wir nicht nur über Spitzentücher, Wolle und Stricken. Wir tauschen uns auch über Literatur aus und sie erzählt mir von ihren Reisen nach Deutschland, Kaliningrad und anderswo. Gerade war sie in Helsinki auf der Arts and Crafts Fair 2015 und fällte kein gutes Urteil darüber. Das sei alles auf Kinder-Niveau gewesen... ja, Esten sind ein anderes Niveau gewohnt!
Sie beantwortet alle meine Fragen und erklärt mir, warum die Spitze aus Haapsalu so eine hohe Qualität hat. Gearbeitet wird wie immer, keine Rundnadeln, Holznadeln, keine angestrickten sondern angenähte Umrandungen..., es werden aber kontinuierlich neue Muster erfunden.
Und die Strickerinnen und Stricker lernen Stricken schon in der Schule, sie wachsen mit dieser Kulturtechnik auf. Kurse, Wettbewerbe, Ausstellungen und der alljährliche "Spitzen-Tag" Ende August fördern die Popularität. Neue Bücher, die meistens zweisprachig gehalten sind, in Estnisch und Englisch, verbreiten die Kunst ebenfalls.

In den schlechten Jahren während der Sowjetzeit, als es wenig zu kaufen gab, oder die Waren für estnische Durchschnittsverdiener unerschwinglich teuer waren, mußte man improvisieren. So erzählt mir Anne, wie sie aus zwei abgetragenen Winterpullovern einen neuen zusammensetzte, in rot und weiß, Wolle für einen neuen Pullover konnte sie sich nicht leisten oder es gab keine zu kaufen. Aber die Esten strickten trotzdem und oft bekamen sie Strickaufträge von Russen, die auch die Wolle lieferten, und konnten sich so etwas dazuverdienen. Ab und an gab es kleine Probe-Läppchen von Wollfabriken, die sie sorgsam aufribbelten und das Garn dann für ihre Zwecke verstrickten. Diese schlechten Zeiten sind vorbei. Zum Glück.

Nancy Bush: Knitted Lace of EstoniaAasa sallid. Knitted Shawls of Aasa Jõelaid

Nancy Bush, die dem Zentrum sehr verbunden ist, soll hier nicht unerwähnt bleiben, ihr Buch Knitted Lace of Estonia ist ja wirklich ein Bestseller. Und in diesem Sommer ist das Buch Aasa sallid. Knitted Shawls of Aasa Jõelaid, dessen englischsprachigen Teil Nancy Bush editiert hat, herausgekommen.

Aasa Jõelaid

Aasa Jõelaid im Gespräch, immer mit Strickzeug!

Aasa Jõelaid hat das Muster für den Queen Silvia Shawl entwickelt und es heißt sie habe bereits mehr als 1300 Schals oder Tücher gestrickt. Da kann ich nur den Hut ziehen! 
Mir gefällt an ihrem Buch besonders, daß sie auch Tricks und Kniffe zeigt. Die werde ich sicher noch öfter studieren.

Bei all dieser versammelten Strick-Kompetenz war ich schon vom Zuschauen und vom Gespräch mit Anne glücklich, daß ich keine Nupps stricken mag / kann, brauchte ich diesen Meisterinnen ja nicht auf die Nase zu binden. Nun, Anne hat mir als Grundsatz für gelingendes Stricken ja beigebracht, daß man aufmerksam und diszipliniert arbeiten solle. Da werde ich doch diese Nupps auch noch lernen... Ich habe mir vorgenommen, im nächsten Sommer nach dem Craft Camp noch einmal nach Haapsalu zu reisen und dann werde ich mich sicher mit ihr verabreden. Und bis dahin übe ich Nupps.

Nein ich kaufe keine Wolle mehr

Nein ich kaufe keine Wolle mehr

Diese Liste mit Unterschriften hängt im Zentrum in der Nähe des Verkaufstresens. Die Unterschreibenden erklären damit ihren Willen, keine neue Wolle zu kaufen ehe die eigenen Vorräte aufgebraucht sind. Welch ein Vorsatz!

Zum Schluß dieses Berichtes noch eine ausführliche Bilder-Galerie und ein paar Links.

Die Webseite des Lace-Centers (leider nur auf estnisch): http://www.haapsalusall.ee/
Ein Porträt von Aasa Jõelaid: http://meistrid.edicy.co/laanemaa/aasa-joelaid
Eine Webseite mit Lace-Mustern, nicht mehr weitergeführt, aber voller Inhalt: http://newlace.blogspot.de

wie immer: für die Anzeige auf die Vorschaubilder klicken!

Und nun bleibt eigentlich nur noch ein Highlight dieser Reise: ein Ausflug zur Insel Muhu...