Charlotte Leander, Anweisungen zur Kunststrickerei, 1843

Wie schon im letzten Beitrag geschrieben, waren wir auf Vormsi im Elle-Malle Pensionaat untergekommen und das war ein Volltreffer. Die Wirtin Elle-Malle ist absolutely (ihr englisches Lieblingswort) kommunikativ und inselkundig.
Sie lebt seit ihrer Zeit als Forstarbeiterin auf der Insel und betreibt die älteste Unterkunft hier (seit 1994): das Gästehaus mit Frühstücksraum, Antiquitätenkeller und Sauna, dann mehrere Bungalows im Wald, eine Ferienwohnung im 1. Stock eines Wirtschaftsgebäudes, Gästezimmer in der alten Mühle und dann die Wiese als Campingplatz. Es gibt eine Feuerstelle und Sitzgruppen im Freien, das Gemüse und Obst stammt alles aus dem eigenen Anbau (absolutely bio) und man kann Fahrräder ausleihen, davon möchten wir allerdings abraten, die Räder hatten wohl das gleiche Alter wie wir Reisende...

Einige Informationen:
Das Elle-Malle Gästehaus bei VisitEstonia.com

Elle-Malles Kontakt:

ellemalle@gmail.com
☏  +372) 564 72854 
+ (+372) 473 2072

 

 

Neben all der Arbeit mit der Beherbung arbeitet ihr Mann auch als Fremdenführer, spricht allerdings kein Englisch und ich musste mich mit meinem knappen Russisch schon anstrengen. Aber Kommunikation gelingt immer wenn man möchte!

I am also a knitter - dies schrieb sie mir schon in einer der ersten eMails und wenn das so ist sind wir ja bei ihr richtig! Gleich am ersten Morgen zeigte sie uns einige von ihr gestrickten  Socken, Handschuhe und einen Pullover. Später kramte sie dann ältere Stücke aus ihrer Sammlung hervor und erklärte sie uns.
Jedes ihrer Stücke hat seine eigene Geschichte, viele Exemplare wären ohne ihr Engagement einfach weggeworfen worden. Und auch Museen haben schon bei ihr nachgefragt, ob sie die Pottmüts oder die Babymütze nicht vielleicht in die Sammlung geben könne, aber das wollte sie nicht. Dort sieht sie keiner und hier auf Vormsi kann sie die wertvollen Stücke ja vorführen und zeigen. Nein, später vielleicht gehen die Schätze ins Museum, aber jetzt hütet sie sie.

Mich interessierten ganz besonders ihre gesammelten alten Handarbeiten; viele davon hatte sie vor dem Wegwerfen gerettet. Heute würden diese überkommenen Dinge ja nicht mehr geschätzt, aber  vielleicht erinnert sich die nächste Generation an das Erbe? Und ab und an kämen ja auch interessierte Gäste zu ihr, denen sie das dann stolz vorführen könne.

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Elle-Malle hat aber nicht nur Textilien gesammelt, im Keller des Hauses gibt es einen Ausstellungsraum vollgestopft mit alten Dingen: Geschirr, Bücher, Spielzeug, Werkzeug... alles zusammengetragen in vielen Jahren,
Und auch einige Souvenirs, Postkarten, Topflappen, schöne Knöpfe aus Bein - sie hat ein Auge für Qualität und ist geschäftstüchtig.

Dieses Gästehaus ist schon etwas ganz Besonderes und ich bin mir sicher, daß ich wiederkomme, es gibt viel zu schauen, zu lernen und bewundern - aber nicht nur hier, es gibt ja noch das Farm-Museum!
Das stelle ich im nächsten Beitrag vor.

Die Insel Vormsi liegt nicht weit vom Festland entfernt, an der nordwestlichen Küste Estlands. Von Tallinn aus kommt man über Haapsalu zum Hafen Rohuküla, und nach kurzer Zeit ist man in einer anderen Welt. Oder einer anderen Zeit?
Es war unser erster Besuch auf dieser Insel und deshalb erschien uns vieles ungewohnt. Schon immer war die Insel von Küstenschweden bewohnt gewesen, diese evakuierten sich aber im 2. Weltkrieg vor der heranrückenden roten Armee nach Schweden  und nicht alle sind wieder zurückgekehrt.
Heute wird Vormsi  von vielen schwedischen Urlaubern besucht und von Stadtbewohnern, die hier ein Ferienhaus haben oder sich in einem der wenigen Unterkünfte einmieten. So kommt es vor, daß auf dem Parkpatz vor unserem Pensionat ein roter Ferrari parkt... denn außer Ferienhäusern, Zimmervermietern und Camping gibt es keine Unterkünfte (und das ist gut so!)

Wir waren bei Elle Malle untergekommen, ihr Pensionat liegt am Ortsrand, im Wald, an eine große Wiese angrenzend, nicht weit von der St. Olaf-Kirche und dem Friedhof mit den eigenartigen Grabsteinen. Elle Malle lebt schon lange auf der Insel, ist geschäftstüchtig und umtriebig. Sie hat ein großes Herz und kann viel erzählen. Deshalb widme ich ihr den nächsten Beitrag hier auf der Wockensolle und beschreibe erstmal das "Drumherum".

Auf dem Weg in den Ort

Unsere Unterkunft liegt etwas außerhalb des kleinen Ortes.

Eine Straße führt vorbei, aber am liebsten nehmen wir doch den Waldweg und spazieren an gemütlichen Häusern vorbei in die Ortsmitte, zum Kaufladen oder ins Handarbeitszentrum.

Im Zentrum von Hullo

Mit EU-Mitteln wurde hier die Ortsverwaltung und das Handarbeitszentrum eingerichtet.
Gegenüber dann der Kaufladen und davor ein freier Internetzugang, eine Bushaltestelle und ein Häuschen für die Müllsammlung.

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Und es gibt nicht nur  Freies Internet auf der Wiese vor dem Haus, auch Freies Katzenkraulen ist verfügbar.

Dafür gibt es aber auf der ganzen Insel keinen Geldautomaten, man kann jedoch im Kaufladen Geld "abheben", vorausgesetzt es haben nicht alle Kunden vorher  mit Karte bezahlt und Bargeld ist in der Ladenkasse.

Unser Ziel war natürlich das Handarbeitszentrum im Dorfhaus.

In der Eingangshalle stehen Mannequins in Insel-Tracht, mit roten Wadenwärmern und weißen Socken.
Das Zentrum ist recht aktiv, für die Touristen gibt es viele wunderbare Arbeiten im Angebot (Socken, Handschuhe, Decken, Wolle, Taschen, Schmuck), es werden aber auch Handarbeitskurse veranstaltet.
Man muß schon den Geldbeutel festhalten wenn man die "Käsitöötuba" betritt.

 

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Ich hatte schon vor der Reise Socken im Vormsi-Muster gestrickt und die passenden roten Wadenwärmer dazu. Aber was ich hier sah, begeisterte mich, soviele Variationen!
Einfache überkreuzte, verschränkte rechte Maschen auf einem Hintergrund aus linken Maschen, eine Vielfalt die mich noch lange beschäftigen wird. Die Frauenhandschuhe und -Socken sind weiß mit einem hübschen Struktur-Muster gearbeitet, nicht nur das Bündchen ist mit Travelling Stitches gestrickt, oft auch der komplette Fußteil oder die Ferse der Socken. Für die Männer ist alles ein wenig handfester: sie tragen gestreifte Fäustlinge oder Socken, meist blaue und grüne Streifen auf einem dunklen Grund.

Falls das Ravelry-Forum im kommenden Wnter wieder einen MiniMitten-KAL veranstaltet, bin ich gerüstet... und kann mich zwar nicht mit fremden Federn aber mit fremden Miniatur-Handschuhen schmücken ;=)
Ich konnte natürlich nicht widerstehen und habe ein Paar Kleinstsocken und ein Paar Kleinsthandschuhe erstanden. Wer weiß was ich damit mache, ich freue mich daran auf jeden Fall.

Aus der Schwedenzeit stammt der Begriff für diese hübschen Projekttaschen: Bindbongen...
Sie sind meisterlich gewebt und mit einem kleingemusterten Stoff gefüttert.

Diese Projekttaschen sieht man auch auf alten Fotografien und unsere Wirtin zeigte uns auch ein uraltes, vielfach geflicktes Exemplar.

Ich habe mir solch einen Beutel geleistet, ich empfinde es als Luxus die Arbeit einer kreativen Frau nutzen zu können. Und der hohe Preis von 50,00€ hat mich nicht abgeschreckt, art must be paid.

 

Die Fahrt von Kihnu nach Vormsi, von einer Insel zur anderen, stellte sich als das größte logistische Problem unserer Reise heraus. Direkte Busverbindungen zwischen den Häfen gibt es nicht, und alle Routenvorschläge waren doch recht suboptimal. Von Kihnu aufs Festland, von dort nach Pärnu, von Pärnu nach Tallinn, von Tallinn nach Hapsaalu und von dort zum Hafen Rohuküla... das konnte es nicht sein - sechs Mal umsteigen mit Gepäck -  aber ich fand eine andere Lösung. Wir buchten ein Taxi! Die Angebote hatte ich vorher per eMail-Anfrage eingeholt und das für uns beste eingeholt - und alles klappte. Der freundliche Fahrer erwartete uns iam Hafen und fuhr uns sicher und ruhig auf der kurzen Strecke zum Fährhafen Rohuküla, anderthalb Stunden über Land für 135€, geteilt durch vier war das ein guter Preis. Ich kann das Taxiunternehmen E-Takso nur empfehlen,.

Am Hafen von Kihnu treffen wir noch einmal unsere Gastgeberin Käthlin, die die ganze Woche schon ein Sommertraining für die Inselkinder durchführte, damit diese insel- und seetauglich werden. Diese Lehrgänge werden jedes Jahr absolviert und jedes Kind auf der Insel soll wissen wie man Leben rettet, ein Boot steuert, die Kinder sollen Flora und Fauna der Insel kennen und auch die Traditionen. Vermittelt wird dies von den Frauen, wie es auf dieser matriarchalischen Insel der Brauch ist. 

Von der Fähre aus sehen wir noch einmal die kleine Insel Manija, dann geht es bei heiterem Wetter  über Land und wir erreichen rechtzeitig den Hafen Rohuküla und setzen auf die Insel Vormsi über. 

Es ist schon eigenartig mehr über die Strickmuster einer Insel als über die Insel selbst zu wissen. Deshalb wollten wir ja auch auf diese Insel, die weniger bekannt ist als Muhu und Kihnu, die ihre eigenen Traditionen und ihre eigene Kultur hat. Denn Vormsi ist sehr sehr schwedisch gefärbt - das fällt uns schon auf dem Weg vom Hafen Sviby  nach Hullo, dem Hauptort der Insel auf. Die Häuser sind schwedisch-rot gestrichen, die Ortsnamen schwedisch (Borrby, Förby..) sehr ungewohnt.

In Hullo haben wir uns im ElleMalle-Pansionat eingemietet. Die Pension liegt etwas außerhalb des Ortes Hullo, in der Nähe der St. Olaf-Kirche mit dem berühmten Friedhof, und es gibt nicht nur Zimmer, auch eine Mühle kann man bewohnen oder kleine Gartenhäuschen.
Da die Fahrräder, die von ElleMalle vermietet werden, keinen vertrauenerweckenden Eindruck machten, sie waren gar zu alt, gingen wir zu Fuß. Und unser erster Spaziergang führte uns zum einzigen Restaurant, dem Krug, wo als Belohnung für die logistischen Reiseprobleme eine göttliche Kama-Cremespeise das Abendessen krönte. 

Was ist das Besondere hier auf der Insel? Alles ist sehr sehr ruhig und beschaulich, es gibt nur ein Geschäft, keinen Geldautomaten, der Bus fährt nur zur Ankunft- und Abfahrt der Fähre einmal um die Insel, es gibt ein Bauernhofmuseum und  das Handarbeitszentrum ist sehr rührig - ich fand es wunderschön.

Über das Handarbeitszentrum von Vormsi und die private Sammlung ElleMalles berichte ich im nächsten Beitrag.
Aber vorab schoneinmal ein kleiner Vorgeschmack. 

Überall kleine Schönheiten - das Herz geht auf.

Ein Lebenszeichen: Ich bin zurück von der langen Reise durch Lettland und Estland, erschöpft aber freudig.
Wie bei jeder dieser Reisen habe ich liebe Menschen getroffen, neue Freunde gefunden und vieles Neues gesehen.
Das werde ich noch ausführlich auf der Wockensolle beschreiben, aber schon einmal das traditionelle Beute-Foto:

Viel Wolle ist wieder dabei, und diesmal eine ganz besonders gestreute Palette:

  • kunterbunte Merinowolle einer Färberin aus den USA, die ich an Pat's Adresse bestellt hatte und Pat hat sie mir jetzt nach Riga  mitgebracht
  • bunte Knäuel lettische Wolle von Jana  und ein Strang blaugrünes Verlaufsgarn von Tines aus Riga
  • Indigo-gefärbte Wolle vom Workshop beim Craft Camp in VIljandi
  • schwarze und graue Wolle vom Kihnu-Schaf und naturweiße Wolle, alle beim Wollfabrik-Workshop beim Craft Camp hergestellt
  • dicke 8/3er Wolle vom Kihnu-Schaf auf der kleinen estnischen Insel Manija

und auch Gestricktes (ein paar Geschenke sind schon weitergegeben):

  • Fingerhandschuhe von der Insel Kihnu
  • Knieschoner (ja tatsächlich!) aus Cesis
  • Socken aus Cesis
  • Fingerhandschuhe aus Töstamaa
  • Miniatur-Socken und Handschuhe von der Insel Vormsi

und vieles mehr. Davon aber in den kommenden Beiträgen!