Ich habe ja schon mehrfach über das phantastische Buch von Irene Waggener, "Keepers of the Sheep" berichtet, und in den letzten Wochen neben simplen Sockenstricken, Ribbeleien und Ablenkungen immer wieder in dem Buch gelesen. Aber gelesen ist der falsche Ausdruck, ich habe darin geschmökert oder mich darin versenkt. Und in meinen Erinnerungen gekramt. Vor fast 50 Jahren (meine Güte, ist das lange her) war ich längere Zeit in Marokko und Algerien unterwegs, wir sind die Route der Kasbahs entlang gefahren, waren im Tal des Dra, in Algerien bis an den Nordrand der Sahara in der geheimnisvollen Stadt Ghardaia.
Aber strickende Hirten habe ich nicht kennengelernt. Ich war auch zu scheu um tiefer in die verschlossen wirkenden Kasbahs einzudringen, das war damals eine sehr sehr fremde Welt für mich. Ein kleines Filmchen von 8mmfreak, meinem damaligen Freund und späteren Mann, von dieser Reise ist noch bei Youtube zu sehen.
Und nun dieses wunderbare Buch! Wo anfangen? Inhaltliche Schwerpunkte sind die Erzählung der Autorin über ihre Zeit im Hohen Atlas und ihre Begegnungen, dann eine ganze Reihe Strickanleitungen (von faszinierend bis tragbar), und ein ganz wichtiges Kapitel über die Geschichte des Strickens in Nordafrika. Lassen wir die Autorin selbst zu Wort kommen:
This book is the culmination of three years of research, interviews, participant observation, and writing. It includes 7 essays and 13 patterns that provide the reader with a glimpse of life in a High Atlas village and the important role knitting once played there. A chapter on the history of knitting in Morocco takes the reader backwards in time from Morocco, through Algeria, into Spain and Tunisia, and eventually Egypt, where historians believe knitting may have originated. This history chapter is accompanied by patterns based on historical sources that bring to life a North African knitting tradition that has all but disappeared.
Ich habe viele Bücher über die Geschichte des Strickens im Regal, von RIchard Rutt bis Nancy Bush, to name a few. Und meines Wissens immer wird als wohl ältestes erhaltene Strickstück der Strumpf aus Ägypten genannt, bei Piecework und Ravelry gibt es Anleitungen dazu.
Und es folgt fast immer die Vermutung, daß das Stricken von den Mauren von Ägypten aus über Nordafrika nach Spanien gebracht wurde, aber nordafrikanische Stricktraditionen? Das ist dann ein schwarzer Fleck in der Strick-Historie.
Irene Waggener:
Keepers of the Sheep:
Knitting in Morocco’s High Atlas and Beyond
Wo man es bestellen kann?
Auf der Webseite der Autorin findet man Links zu Anbietern.
Titouan Lamazou und Karin Huet:
Onze lunes au Maroc:
Chez les Berbères du Haut-Atlas
Edition Galimard, Galimard Loisirs
ISBN-10: 2742431071.
Mediaval Muslim Stocking
von Lilinah biti-Anat
Einige Links:
- Piecework: Nancy Bush: Egyptian Socks to Knit
- Piecework: Jeane Hutchins: Practical Socks in the 5th Century, koptische Socken aus dem 4. bis 5. Jahrhunder n. Chr.
- Smithsonian: Katherine J. Wu: 1,700-Year-Old Sock Spins Yarn About Ancient Egyptian Fashion
Irene Waggener geht zurück in der Geschichte, von der Gegenwart über die französische Kolonialzeit und noch weite. Sie bemerkt die Ähnlichkeit eines vierfarbigen, geometrisch gemusterten Strickstücks mit türkischen und iranischen Mustern und das kommt nicht von ungefähr, war doch Nordafrika lange Bestandteil des osmanischen Großreiches und Techniken, Farben und Muster wandern ja bekanntlich von einem Kulturraum zum nächsten.
Nebenbei bringt sie sich auch noch das Intasia-Stricken in der Runde bei, denn ein Photo von Prosper Ricard aus dem Jahr 1952, im Bestand des Pariser Musée du Quay Branly ä Jacques Chirac, bringt sie auf die richtige Spur:
Das Bild aus der Museums-Sammlung zeigt einen strickenden Mann, und wie die vielen kleinen Knäuel zeigen, strickt dieser Mann "Intarsia in der Runde!".
(Das Bild kann ich des Copyrights wegen hier nicht zeigen.)
Die Autorin berichtet ferner, wie sie in einem kleinen Museum eine gestrickte, gestreifte Hose sah und wie sie die ungewöhnliche Art, den nicht gebrauchten Faden beim Streifenwechsel weiterzutransportieren, studierte.
Viele Hinweise für ihre Forschung konnte sie dem Buch "Onze lunes au Maroc: Chez les Berbères du Haut-Atlas" (11 Monate in Marokko: bei den Berbern im Hohen Atlas) von Titouan Lamazou und Karin Huet entnehmen.
Jenes Buch ist zum Einen ein gezeichneter Reisebericht über den Aufenthalt in zwei Tälern des Hohen Atlas und zum Anderen eine Dokumentation der Baustile und Bauformen, vor allem der wunderschönen bemalten Innendecken.
Mit zahlreichen Skizzen hält es den Alltag in den Kasbahs fest und ab und an tauchen auch einige gestrickte Objekte auf den Zeichnungen auf, ohne daß die Autoren besonders darauf geachtet hätten, ihre Schwerpunkte lagen anders.
Tja. Jetzt habe ich beide Bücher im Regal stehen, Und habe wieder ein wenig Neuland gefunden. Nun zum Abschluß dieses Beitrags die Zeichnung eines Mannes mit einer Schneeschaufel, in der gestrickten, gestrickten Hose!
© Titouan Lamazou und Karin Huet, 11 lunes au Maroc
Die Männer trugen diese Hosen im Winter, so zum Beispiel auf der Jagd, wenn sie stundenlang dem Mufflon auflauerten.
Im Buch von Irene Waggener ist nicht nur die Strickanleitung zu finden, man lernt auch wie man die Bänder, die "Hosenträger", herstellt.
Ich selbst werde diese Hose wohl nie stricken, aber vielleicht eine Mütze oder die wunderschönen Legwarmer aus dem Buch?