Nun, während ich mich auf einen Vortrag über Armenien vorbereitete und diesen am Sonnabend auch gehalten habe, während ich an einer blauen Jacke herumstrickte (will ich die wirklich noch vor meiner Reise fertig haben?) und das Buch "Mittens of Latvia" stück für stück übersetze, hat sich ein Thema eingeschlichen: Stricken in Armenien.
Wird in Armenien gestrickt? Sicherlich!
Auf eine besondere Weise? Wer weiß...
Früher hätte ich gewußt, wen ich fragen könnte. Meine liebe Freundin Irina Tigranova hatte auf alles eine Antwort. Sie war Professorin für Musik, die Witwe des Komponisten Avet Terterian, Kobold und Schelm. Sie konnte mir sagen, ob Bronski wirklich Anna Karenina liebt, mit ihr habe ich Lermontow's Gedichte rezitiert, wir haben viel Zeit in Erivan und Arivank miteinander verbracht. Aber gestrickt hat sie seit ihr Sohn groß ist wohl nicht mehr.
Ich kann nicht mehr anrufen und ihr fragend-lachendes "Hallo" hören. Ich kann sie nicht mehr fragen, sie lebt nicht mehr.
Also schaue ich in Bücher. Als ich in Armenien unterwegs war, habe ich in Museen alte Handschriften angeschaut und die Trachten bewundert, aber Gestricktes habe ich nicht wirklich gesehen. Eine Suche im Netz bringt zum Stichwort Armenian Knitting viele Treffer, aber das bedeutet nichts, da geht es immer nur um eine Technik, bei mehrfarbigem Stricken den Faden zu führen, angeblich von einer armenischen Strickerin für eine italienische Mode-Designerin entwickelt... nichts Aufregendes.
In einem Piecework-Heft aus dem Frühjahr 2013 wurden armenische Socken vorgestellt:
Aber was ist daran armenisch? Eine armenische Familie aus der Türkei kommend brachte diese Socken Ende des 19, Jahrhunderts mit in die USA, und die Autorin konstatiert: "In Turkey, it was traditional to offer socks to the groom's family. ... The sock was constructed in the classic Islamic manner as found..."
Tja, da hat die armenische Familie wohl eher einen türkischen denn einen armenischen Socken mitgebracht, Armenier sind ja wohl wirklich keine Muslims. Aber ob das amerikanische Autoren wissen? Scheint mir nicht so.
Nun, dann schaue ich in das neue Buch von Constanze John,DuMont Reiseabenteuer Vierzig Tage Armenien: In einem alten Land im Kaukasus... Beim Blick ins Inhaltsverzeichnis finde ich den 36. Tag überschrieben mit "Stricken". Das macht mich neugierig.
Am Friedhof zu Nouratus sitzen drei alte Frauen. SIe sitzen auf den Grabsteinen, haben in Plastikbeuteln bunte Wolle dabei und stricken. Kaum sehen sie uns kommen, Satenik und mich, legen sie die Stricknadeln beiseite, nehmen jede ihren Packen fertiger Waren - Mützen, Strümpfe, Schuhe, Topflappen - und bieten sie uns an. Erst kaufe ich ein Paar gestrickte Schuhe und Topflappen, wobei mein Blick bereits über das Areal des Friedhofes schweift. Dann gehen wir weiter....
Das sind wohl die gleichen Strickerinnen, die auf dieser Webseite in einem Reisebericht über Armenien zu sehen sind:
Als ich in Nouratus war, habe ich keine Strickerinnen gesehen. Ein paar Jungs wollten Bonbons haben und fotografiert werden, aber niemand strickte.
Gibt es wirklich keine speziellen armenischen Strick-Traditionen? In meinen vielen Büchern über dieses Land finde ich keinen Hinweis, und meine Irina kann ich ja nicht mehr fragen...
Durch Zufall stieß ich auf Ihren Blog. Gern schicke ich Ihnen zwei Fotos von den strickenden Frauen, die ich auf Noratus traf. Interessant dürfte in diesem Zusammenhang für Sie aber vor allem das Buch von Artem Ohandjanian und Lilia Awanessian sein: „Felszeichnungen in Armenien“ ISBN 978-3-9502344-01-1. Hier geht es nicht allein um Felszeichnungen, sondern um diese alten symbolischen Zeichen, die z.B. auch in den Teppichen wiederkehrten. Diese Teppichmotive bilden Thema eines ausführlichen, gut bebilderten Kapitels. – In den wundervollen Socken, die Sie hier zeigen, meine ich alte Sonnenmotive zu sehen, Vögel, Blumen und vor allem viele christliche Kreuze. Aber ich bin da kein Spezialist. Auf jeden Fall finde ich das alles sehr interessant.
Liebe Constanze John,
das wäre wunderbar, wenn Sie mir die Bilder schickten… ich liebe Armenien sehr, und entdecke immer neue Facetten, wie eben jetzt die armenischen Strickkunst
Ja, die Sonnenmuster, die treffen wir fast in allen überkommenen Strick-Traditionen an, im Baltischen Bereich ist es das Sonnenrad, eines meiner LIeblingsmuster….
Das von Ihnen genannte Buch werde ich mir auf jeden Fall besorgen, das habe ich noch nicht im Regal!
Viele Grüsse,
Cornelie Müller-Gödecke
Ich habe beim Uno-Bazar einmal Socken/Stutzen aus Georgien gekauft, die ich so noch nirgendwo gesehen habe, aber das ist das falsche Land – aber auch hochinteressant, weil zweifärbige rechts-links Muster, und wenn ich mich recht erinnere auch mit Naht (da muss ich aber nachschaun).
Vielleicht können dir die Wiener Mechitaristen mehr erzählen (http://mechitharisten.org/), die haben eine große Sammlung an armenischer Volkskunst.