Caspar David Friedrich: Hünengrab im Schnee, Ausschnitt

Nach dieser Wahl (Europa, Kommunal, Bürgermeister, Kreistag) häufen sich die Schreckensmeldungen. Es ist erschütternd welche Mehrheiten gewaltbereite, menschenverachtende, frauenverachtende, oft auch vorbestrafte Extremisten gewinnen können. Da laufen Wähler Parolen hinterher, die sich in keinster Weise mit den Parteiprogrammen decken (hier in Vorpommern erdreistete sich die blaue Partei zu dem Slogan "Demokratie bewahren" ).
Aus der Geschichte wird nicht gelernt, Fremdenhass und Frauenverachtung, Kulturfeindlichkeit - ist das der kleinste gemeinsame Nenner dieses Rechtsrucks?
Ich bin fassungslos.

Aber eine Meldung erfreut: Und zwar eine Meldung zur Situation des Schönberger Museums, ich habe ja schon oft darüber berichtet:

Der unsägliche Bürgermeister der Stadt Schönberg, Korn, der nichts unversucht ließ das Volkskundliche Museum Schönberg zu drangsalieren und zu schließen, wurde mit großer Mehrheit abgewählt!

Neuer (und vorletzter) Bürgermeister ist nun Lutz Götze von der SPD, der sich vorgenommen hat, "die Entscheidungen zum Betrieb des Heimat- und Volkskundemuseums  zu korrigieren" (Zitat OZ, 12.6.24).

Volkskundemuseum Schönberg

So schrieb die SPD Schönberg NWM am 21. Mai 2024 auf Facebook:

Das Volkskundemuseum, dass für viele Veranstaltungen vom Museumsfest, über Wollspinnmeisterschaften, Ausstellungen, Lesungen, Vorträge etc. der Motor war, wird in 2024 nicht in der Lage sein, irgendetwas anzubieten.

 

Wir möchten wieder Leben in die Stadt bringen und unsere alten Veranstaltungen wieder attraktiv und als ein Aushängeschild der Stadt gestalten.

Wann kommt es zu einem neuen Vertrag und zur Wiedereröffnung? Ich hoffe bald!

Collage der SPD Schönberg NWM

Eine Collage von der Facebookseite der Schönberger SPD

Vielleicht haben meine Aufrufe zum Erhalt des Museums ja etwas dazu beigetragen, vielleicht habe ich deutlich machen können, welchen Stellenwert das Museum hat und welche Wertschätzung es genießt, und daß das kleingeistige Agieren des Bürgermeisters Korn nicht unbemerkt und folgenlos geblieben ist ... Auf jeden Fall ein Grund zu Optimismus und Tauversicht

Einen Bericht über die Studien im Volkskundemuseum Schönberg habe ich ja im letzten Beitrag angekündigt und das Museum war hier auf der Wockensolle auch schon öfter Thema. - seine Geschichte, die Veranstaltungen dort, die Schätze im Archiv und die Gefährdung durch den kulturfernen Bürgermeister des kleinen nordwestmecklenburgischen Städtchens.
Immer wollte ich einmal so richtig eintauchen in das Archiv dort und nach etlicher Zeit wurde das ja auch möglich: im Januar verbrachten Franz-Josef Klar, Claudia Krischer und ich zwei intensive Tage im Museum.

wie immer: für eine größere Darstellung auf ein Bild klicken!

Bestens vorbereitet von Christiane Woest erwartete uns ein lichtdurchfluteter Raum mit reichlich Platz zum Auspacken, Bestaunen und Studieren der Originale. Fast 40 Strümpfe und zwei Musterstreifen bekamen wir zu sehen, die meisten aus dem 19. Jahrhundert.

Wir bewunderten eine Tracht mit dem wunderschönen bestickten Brusttuch und einer schwarzen Schürze aus Rehna  und freuten uns über eine Haubenschachtel, die nach der kürzlich erfolgten Restaurierung einen geradezu aktuellen Text über der Illustration zeigte:

Die Katze und der Pudelhund schließen einen Friedensbund.

 

Haubenschachtel aus Schönberg
Musterstreifen aus dem Jahr 1824, Bild von der Seite https://www.museen-sh.de

Zwei Musterstreifen, gestrickt mit feinem Baumwollgarn, fanden sich in den Archiven, unterschiedlich alt. Der älteste Streifen stammt aus dem Jahr 1824, ist also 200 Jahre alt!

Er besteht aus 35 verschiedenen Mustern, ist 2,50m lang und ist aus weißer und roter Baumwolle gestrickt (s.a. die Museumseite im Museumsverbund Nord).
Als ich diesen Musterstreifen sah, entschied ich: Dieser Musterstreifen muss gefeiert werden, ser hat in 200 Jahren nichts von seiner Schönheit verloren, ist vollkommen unbeschädigt und zeigt Muster, die es wert sind studiert zu werden!

Ich liebe diese Musterstreifen, sie waren Lehrbuch und Vorlage für viele junge Frauen, zu einer Zeit als es noch keine Schullehrbücher für den Handarbeitsunterricht gab. Die Lehrerin oder Pfarrersfrau zeigte den Streifen, erklärte die Muster  und die Schülerinnen strickten das nach. Ich habe sogar gelesen, dass in einer Schule im Handarbeitsunterricht eine Schülerin ihren Mitschülerinnen das Muster diktierte und alle es nacharbeiten und auch notieren mussten.

Ich habe ja schon einen Musterstreifen aus dem estnischen Nationalmuseum nachgearbeitet und mir die einzelnen Muster notiert, aber dieser hier stellt mich vor ganz besondere Herausforderungen: etliche der Muster habe ich noch nie gesehen, etliche kenne ich aus den Büchern, die die Muster von Nanette Höflich, Charlotte Leander und Juliane Pauker in die die Gegenwart übertrugen, einige davon habe ich schon gestrickt, aber diese große Anzahl?
Das wird Geduld, Konzentration und viel Üben bedeuten und damit das nicht nur mein Privatvergnügen bleibt: vielleicht stelle ich die Musteranleitungen dann in einer Broschüre zusammen?
Mal sehen!

Der Musterstreifen und das Buch von Charlotte Leander, 1843

Charlotte Leanders' Buch "Anleitungen zum Kunststricken" und der guterhaltene Musterstreifen aus dem Jahre 1886.

Charlotte Leanders Anleitungen zum Kunststricken

Das Museum besitzt auch eine Originalausgabe eines der ersten deutschen Strickbücher: Charlotte Leanders' "Anweisung zur Kunst-Strickerei", das 1843 erstmalig erschien, 14 Hefte, wovon die ersten 10 Hefte dann auch gebunden herausgegeben wurden.
Dieses Buch wurde, wie das Bild zeigt, wirklich genutzt: es enthält eingerissene Seiten, Notizen auf leeren Blättern, Flecken und auch ein paar Kritzeleien.

Für uns bild- und stricktschrift-verwöhnte Strickerinnen sind solche Bücher eine Herausforderung: eine ungewohnte Sprache, wenig Illustrationen und auch viel Wissen, das wie selbstverständlich vorausgesetzt wird, das macht es mir nicht gerade leicht.
Aber ich habe jedes Muster in Großaufnahme photographiert, Vorderseite und Rückseite, und arbeite mich da nun durch.

Charlotte Leander, Anweisung zur Kunststrickerei, 1843

Charlotte Leander
Anweisung zur Kunst-Strickerei. Eine Sammlung von den leichtesten bis zu den schwierigsten Arbeiten ohne Anderer Beihülfe allein ausführen zu können.
Verlag:Erfurt, Hennings und Hopf, 1843.

Bevor ich im nächsten Beitrag die Strümpfe aus dem Museum und die wunderbaren Entdeckungen, die wir im Zusammenhang damit machen konnten, stelle ich hier noch drei Detailaufnahmen dieser wunderschönen Musterstreifen ein.

Das Volkskundemuseum Schönberg muß weiterbestehen!

Ist ein Museum erst einmal geschlossen, ist es verloren.
Das ist eine Binsenweisheit, belegt durch viele traurige Beispiele.

Die 2002 geschlossene "Völkerkundesammlung der Hansestadt Lübeck" ist war dafür ein gutes (besser: schlechtes Beispiel). Der dortige Sammlungsbestand ist war lange Zeit magaziniert und nur noch zu Forschungs- und Studienzwecken zugänglich.
Zum Glück ist sie heute (2024) wieder zugänglich.

Damit verschwindet die Sammlung aus dem Kulturleben, aus der Wahrnehmung, bietet keinen Bildungsanreiz mehr und kann dann irgendwann geschlossen werden. Weil sich ja niemand dafür interessiert…

Das gleiche Schicksal droht nun dem, ironischerweise in nächster Nähe gelegenen, gerade mal 15km Luftlinie von Lübeck entfernten Volkskundemuseum Schönberg.

Volkskundemuseum Schönberg
Volkskundemuseum Schönberg

Das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern ist nicht gerade mit herausragenden Museen gesegnet, und dieses Museum, gegründet 1903 als Altertumssammlung des Fürstentums Ratzeburg, ist mehr als ein Heimatmuseum, es ist ein Volkskundemuseum. Und es ist in Gefahr.

Allein der Name "VolksKundliches Museum" zeigt auf, dass es um mehr als das Sammeln und Dokumentieren von vorgefundenen Gegenständen und Gebräuchen geht ( => Heimatmuseum), es geht um die Kunde, das Verstehen, die Verbreitung dieses Wissens. Und damit, wie auch beim Heimatmuseum, um den Erhalt der vorgefundenen Lebens- und Sachkultur, der Alltagskultur.

Und das leistet das Volkskundemuseum Schönberg vorbildlich. Oder muss ich sagen, leistete?

Wollfest in Schönberg - das Wettspinnen beginnt gleich

 

Ob Bildungsangebote, Sammlung, Ausstellungen, Veranstaltungen im Haupthaus oder im Bechelsdorfer Schulzenhaus, Brotbacken im alten Backhaus, Norddeutsche Spinnmeisterschaft, Konzerte - ohne das Museum wäre die Stadt Schönberg, das Schönberger Land, die Region, MV ärmer. 

Getragen von einem Förderverein und immer wieder in finanziellen Nöten, immer wieder in seiner Existenz bedroht, ist nun eingetreten, was schon lange befürchet wurde: das Museum ist seit Mitte dieser Woche geschlossen, keine Öffnung für das Publikum, keine Veranstaltungen, Forschungsanfragen per Telefon oder eMail …

Der Vertrag zwischen der Stadt Schönberg und dem Trägerverein läuft zum Jahresende 2023 aus und es liegt ein Vertragsentwurf auf dem Tisch: 132.00€ bietet die Stadt dem Trägerverein an.

Laut Vertragsentwurf muss der Verein damit nun sämtliche Gebäude- und Sicherheitskosten sowie Sachkosten tragen und 82.000€ Miete / Jahr zahlen, statt dem bisherigen symbolischem Euro.

Die Stadt Schönberg übernimmt dann nur noch wenige Kosten:  gerade mal 4500 € / Jahr für die Versicherungen der Sammlung und der Häuser.

Das ist ein finanzieller Taschenspielertrick, mit dem das Museum nicht weiter betrieben kann. Und der zu der bitteren Entscheidung des Trägervereins, das Volkskundemuseum jetzt schon bis zum Jahresende geschlossen zu halten, geführt hat.
Wie geschrieben, ist ein Museum ersteinmal geschlossen, bleibt es das wohl auch.

Mit Olaf Both, dem bisherigen Museumsleiter, der seine Konsequenzen aus den jahrelangen Querelen um den Bestand des Hauses sicher nicht leichten Herzens gezogen und gekündigt hat, verliert die Stadt einen höchst fachkundigen und engagierten Museumsleiter, der es auf bewundernswerte Weise immer wieder geschafft hatte, die Kulturakteure aus der Region, die Bevölkerung und Gäste zusammenzubringen und das kulturelle Leben in der Stadt und darüber hinaus zu bereichern.

Der Arbeitskreis "Traditionelle Textilien" des Heimatverbandes Mecklenburg-Vorpommern fühlt sich dem Volkskundemuseum Schönberg sehr verbunden und fordert dessen Weiterbestand!

Mitglieder des Arbeitskreises kamen zu den Spinnmeisterschaften, Cornelie Müller-Gödecke hat einige wenige der wunderbaren Strümpfe aus dem Bestand des Museums bereits untersucht und nachgestrickt, und für den Winter 2023 / 2024 hatten wir einen mehrtägigen Aufenthalt in Schönberg eingeplant, um die Textilien im Bestand zu erkunden.

Claudia Krischer wollte die Strümpfe  fotografieren; Cornelie Müller-Gödecke hat vor,  weitere Strümpfe nachzuarbeiten und die Anleitungen dazu dem Museum zur Verfügung stellen.

Dies alles scheint nun unmöglich.

Der Kreis, das Land, alle relevanten Institutionen sind in der Pflicht, das Museum zu erhalten, die drohende weitere kulturelle Verödung zu verhindern.

Nicht nur daß es im gesamten Bundesland MV keinen Lehrstuhl für Volkskunde mehr gibt, jetzt soll auch das lebendige, wichtige Museum in Schönberg geschlossen werden?

Die Ostseezeitung schrieb im März 2023:

"Doch niemand hat nach Aussage von Bürgermeister Stephan Korn (Kommunale Wählergemeinschaft) wirklich ein Interesse daran, das Volkskundemuseum zu schließen."