Charlotte Leander, Anweisungen zur Kunststrickerei, 1843

Ich habe mir fest vorgenommen, von jetzt an jeden Tag mindestens einen Bericht über das Symposium, das Craft Camp oder die Woche dawischen hier auf der Wockensolle zu verfassen, und deshalb folgt hier jetzt der Bericht über den 3. Tag, den Mittwoch, in Viljandi.

Jeden Abend nach dem Essen gab es noch Vorträge, Vorträge die jeweils einem Thema / Land gewidmet waren.

Am Abend des zweiten Tages wurden weitere Aspekte des estnischen Strickens vorgestellt:

  • Riina Tomberg referierte über die traditionelle Strickkleidung der estnischen Schweden, den Elbofolke
  • Anu Pink beantwortete die Frage, ob wirklich 30 verschiedene Sockenfersen-Typen in Estland gestrickt wurden in ihrem Vortrag "Local Variations on the Construction of Socks in Estonia in the 19th Century" und es gab wahrscheinlich noch mehr Sockenfersen-Varianten.
  • Kristi Jõeste referierte über den Stellenwert des traditionellen Strickens im heutigen Estland.

Vera Maksimovskaya, Spezialistin für die Strickweisen der nördlichen Region im Arkhangelsker Bezirk

Aber der Reihe nach. An diesem, dem dritten Tag nahm ich am Workshop der bezaubernden Vera Maksimovskaya teil; sie vermittelte uns die Muster und Farben der Mezen-Region am Nordmeer, nordöstlich von Arkhangelsk.
Das Werkstück für dieses Thema: Kinderhandschuhe.

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Vera sprach etwas Englisch (das im Verlauf der Konferenz immer besser wurde), die Dolmetscherin ein ausgezeichnetes Englisch, aber manchmal musste doch noch online in einem Wörterbuch nachgeschlagen werden...

Was ist nun das Besondere an diesen Handschuhen?

  • Die großen Muster ähneln den Mustern vieler finno-ugrischen Volksgruppen, z.B. der Komi
  • Das Daumenmuster wird nur auf der Vorderseite gestrickt und fügt sich fast unsichtbar in das Hauptmuster ein
  • An der Handschuhspitze wird darauf geachtet, daß die Musterfarben bis zur Spitze hin ungestört weiterlaufen
  • Für die Spitze wird solange abgenommen, bis nur noch 9 Maschen übrig bleiben, dann werden die mittleren 3 Maschen so zusammengestrickt, daß die mittlerste Masche sichtbar bleibt und die restlichen Außenmaschen werden abwechselnd von rechts und links über diese Masche gezogen.

Eine verblüffend einfache Spitzenvariante, die die meisten von uns noch nicht kannten.

Die Handschuhspitze in Großaufnahme

Seitliche Aufnahme der Spitze

Aber natürlich strickt man in solch nördlicher Gegend nicht nur Handschuhe, Vera zeigte uns auch interessante Strümpfe mit reizvollen Fersenlösungen.

Lettland bildete den Schwerpunkt der abendlichen Vorträge und dies waren die Themen:

  • Irita Žeiere referierte über Knitted Items in the Latvian Archaeological Materials, sie arbeitet in der archäologischen Abteilung des Lettischen Historischen Museums
  • Inita Heinola stellte Knitted gloves, mittens, socks and stockings in Latvia vor, sie ist Chef-Kuratorin der Textil- und Bekleidungssammlungen des Lettischen Historischen Museums
  • und Ziedite Muze stellte unser Buch ""Mittens of Latvia"  ̶  an inspiration book for knitters" vor. Das war ein gelungener Vortrag, mit den beiden anderen Vorträgen waren wir Zuhörer wohl alle nicht so zufrieden, die beiden Damen trugen uninspiriert und in schlechtem Englisch vor (obwohl Dolmetscherinnen bereit standen) und beherrschten nicht einmal die Aussprache der grundsätzlichsten Begriffe.

Ziedite lud zum Schluß Ihres Vortrags dann noch zur Teilnahme am Handschuh-Flashmob (meine Bezeichnung) am 18. November in Riga ein.

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Zurück in Gribow, hab ich nun Zeit, das aufzuschreiben. So hab ich doch noch ein paar Strick-Seiten und Infos zum russischen Stricken oder besser: Stricken in Russland gefunden.  Weil wir aber so viel unterwegs waren, Konzerte gaben oder russische LandArt bewunderten, kam ich nicht zum Aufschreiben.

Sabrina 2014/03Ich weiß jetzt, daß die entsprechende Abteilung in den Buchgeschäften  mit "Рукоделие" gekennzeichnet ist, daß im Supermarkt Aschan am Sevastopolski Prospekt in Moskau in der Zeitungsecke auch Strickmagazine verkauft werden, daß die Hefte wie bei uns mit Mädchennamen benannt sind (also Sabrina, Verena, Susanna oder Diana), ob die Hefte aber die gleichen Inhalte haben wie die deutschsprachigen, kann ich nicht sagen, dazu lese ich diese zu wenig.

Im Web ist auch viel zu finden.
Aufgefallen ist mir, daß man viele dieser Hefte als PDF von Downloadservern laden kann, ob das mit dem Urheberrecht rund läuft, bezweifle ich da ein wenig. Die Märzausgabe der russischen Ausgabe der Sabrina gibts jedenfalls hier.
Verena-Hefte aus den Neunzigern gibts in deutsch oder russisch hier.

Komplett eingescannte Bücher finden sich auch, z.B. "Spirit" von Kim Hargreaves und anderen, teils recht laienhaft als einzelne Grafikdateien verzippt, aber auch als PDF-

Die in den Heften gezeigten Modelle erscheinen mir entweder recht bieder, dann aber auch sehr russisch, also dramatisch, rüschig, verschnuckelt...

Russische Strickjournale 2014
(aufs Bild klicken zum Vergrößern)

Auf der Seite modnoerukodelie.ru kann man sich kostenlose Anleitungen anzeigen lassen, aber die meisten davon sind einfach nur schrecklich, wie dieses Kleid zum Beispiel.

Платье

 

Kostenlos bedeutet bei diesen Anleitungen, daß sie in Magazinen erschienen sind und nicht einzeln gekauft werden müssen.
Einige Zeitschriften habe ich auch zum Online-Lesen gefunden, aber die Links sind im Cache des Moskauer Computers verschwunden.

Deshalb mach ich erstmal Schluß, im nächsten Beitrag stelle ich ein paar russische Strick-Blogs vor.

пока, большая радость при веревке (tschüß, viel Freude beim Stricken )

Московская шерстопрядильная фабрикаLeicht zu kaufen, warm zu tragen - das ist der Slogan der Moskauer Wollfabrik (Московская шерстопрядильная фабрика) Семеновская пряжа. Nachdem ich auf der Webseite die Adresse einer Filiale in unserer Nähe", jedenfalls nach Moskauer Entfernungen gerechnet, gefunden hatte, bin ich da hin. Im zweiten Stock enes bescheidenen Einkaufszentrums fand ich das Geschäft.

Семеновская пряжа- Semenovskaja PraschaZwei recht grosse Regale, Zubehör, Wollbekleidung, es gab Vieles zu sehen. Das Geschäft ist saisonal bestückt, Sockenwolle fast gar nicht zur Auswahl, nur ein paar selbstmusternde Knäuel, was mich bekannterweise nicht fasziniert.

Semenovskaja PraschaEine große Auswahl an verschiedensten Garnen, von feinstem zweifädigem Garn (auch Garn für die berühmten Orenburger Schals), bis zu fingerdicker Monsterwolle, von reiner Seide über Leinen für den Sommer und Angora und Alpaca bis zu reinstem Acryll.  Die Fabrik wirbt mit der Ankündigung "Garn aus Russland, Europa und Asien". Nun, Südamerika ist auch dabei. Ich habe mir ein paar Knäuel Wollgemisch namens Lydia, für eine kleine Kinderjacke in grau-grün-blau.

Lydia in blauDie Preise sind sind mit den Wollpreisen bei uns vergleichbar, jedenfalls was die höheren Preislagen angeht. Alltagswolle wie die Lydia eben sind jedoch sehr preiswert: 100g um die 1,80 €.

Auf der Webseite der Garnfabrik Семеновская пряжа kann man Wolle in Knäueln oder auf Konen bestellen und nicht nur ihre eigenen Erzeugnisse, sondern auch andere Marken, so auch original Orenburger Schalwolle. Aber ich werde mir verkneifen, noch in das Hauptgeschäft direkt bei der Fabrik zu fahren, ich habe genug Vorrat...

Nach den ersten Tagen in Moskau und der schönen Geburtstagsfeier für Heinz im originellen Restaurant Petrovitch mit der gesamten Moskauer Familie ging es dann für 3 Tage nach Jaroslavl an die Wolga. Wir sind dort bekannt  mit dem Leiter des dortigen Jazzcenters und so stand ein Solokonzert von Heinz auf dem Plan. ich habe die freie Zeit genutzt, um durch die wunderschöne Stadt zu streifen, im Café zu sitzen, einen Buchladen zu durchstöbern und natürlich nach Wolle zu schauen. 

швейная мир - NähmaschinenweltMehrfach bekam ich die Empfehlung, im Geschäft "швейная мир" ( = Nähmaschinenwelt) nachzuschauen, einem Laden, der auf Nähmaschinen spezialisiert ist  Aber dort fand ich nur eine kleine Wollauswahl. In Vitrinen, hinter Glas lag Merino, Alpaca, Mohair und Acryl. Zu recht gehobenen Preisen. Aber Jaroslavl ist eben eine reiche Stadt!

FilzpantoffelnPantoffeln aus KostromaAlso keine Wolle, dafür aber etwas ganz Besonderes: 

handgefilzte Hauspantoffeln aus Kostroma an der Wolga.

Nicht ganz billig, 1900 Rubel sind so um die 39,00 €, aber dafür halten sie die Füße ein ganzes Leben lang warm.

Und polieren nebenbei die Holzböden.

Handarbeitsbücherim Buchladen, дом книги, in der Abteilung для рукодельниц, für Handarbeiterinnen, gab es einige Bücher, jedoch nicht das, was ich ich gerne gefunden hätte. Bücher mit Pullimodellen, Stricken für Babies, Spielzeug stricken, aber nichts zur Strickhistorie oder sonst spezifisch Russisches.

Anton P. Pavlovitch

Im Treppenhaus des Buchladens hing ein Plakat "Chechov als Arzt", und trotz herzlichter Bitte durfte ich es nicht mitnehmen...

Wo er doch zu meinen liebsten Autoren gehört.

Zurück in Moskau fand ich dann im Zeitschriftenregal eines Supermarktes einige Strickzeitschriften und darin einige Links, die ins russische Strickweb führen. Aber davon später.

es ist kein schönes Wetter, grau. Schneeregen, dann wieder kurz die Sonne draussen... wenig Lust unterwegs zu sein.

So habe ich wenigstens in den Geschäften um unsere Metrostation herum ein wenig nach Wolle Ausschau gehalten, war aber nicht erfolgreich.

Das Angebot so lieblos wie bei uns in den 90ern, als man halt Wolle führte, aber nicht unbedingt davon überzeugt war... Im Stoff- und Wollgeschäft

viel viel Acryl, da passen dann die Kunstblumen, die feilgeboten wurden, auch gut dazu:

Kunstblumen

im Februar und im März habe ich Sendungen mit Pullovern und einer Jacke an meine Freunde / Familie in Moskau geschickt, damit mein Patensohn und die anderen Lütten nicht so sehr frieren. Aber die Sendungen kamen nie an. Jetzt ist Mitte April vorbei und die Sendungen sind immer noch nicht angekommen. Mein Verdacht war: die sind geklaut. Aber jetzt weiß ich es besser:

Der internationale Internethandel ist schuld, er überfordert die russische Zollabfertigung. Etwa 500 Tonnen eingegangener internationaler Sendungen liegen zur Zeit unabgefertigt auf den Moskauer Flughafen, meldet die Zeitung Kommersant, wie Russland-Aktuell berichtet. 

Grund: Putin ließ das Abfertigungspersonal um 20% schrumpfen (alle außer der Nomenklatura müssen sparen...) und die Zahl der Sendungen aus dem Ausland ist seit 2009 von 2,3 Millionen auf 17 Millionen gestiegen. Da ist es doch kein Wunder.

Tja. Auch wenn der Winter dieses Jahr recht lange dauert, bis dieser Paketberg abgearbeitet ist und die Päckchen zugestellt werden, sind die Lütten bestimmt schon aus den Wollsachen herausgewachsen. Was ein Mist.