Charlotte Leander, Anweisungen zur Kunststrickerei, 1843

Zum ersten Mal habe ich gestern die Handarbeitsbörse Neubrandenburg besucht, eine Messe, die dieses Jahr schon zum 23. Mal stattfindet. Ich war gespannt was ich zu sehen bekomme.

Anfang September war ich über den Markt "handgemacht" auf dem Greifswalder Marktplatz geschlendert und war sehr enttäuscht worden. Das übliche Kitsch-Sortiment: Engel, Trolle für den Garten, Windlichter, Klingelbimmel und dann Brauchbares aber Standard: Körbe, Keramiktassen, etwas Schmuck. Textilien? Ein Stand.

An diesem Stand wurden nette Filzaccessoires, - mützen und -hüte verkauft. Die interessantesten Modelle kamen aus Zentralasien, ich weiß nicht mehr ob Kirgisistan oder Kasachstan; hübsche Kopfbedeckungen.

Sicherlich gibt es auf der Handarbeitsbörse in Neubrandenburg mehr zu sehen.

So präsentiert sich diese Messe:

HANDARBEITSBÖRSE   2018

23. Ausstellung  für textile Kunst und Handarbeit

Als Fachmesse für textile Kunst und Handarbeit hat sich diese  Kreativ-Messe seit 1996 in Neubrandenburg etabliert und auch national große Anerkennung gefunden. Namhafte Designer, Textilkünstler,Handwerker und Fachgeschäfte aus allen Teilen Deutschlands und aus mehreren europäischen Ländern bieten den zahlreichen Besuchern auf mehr als 4400 m² Ausstellungsfläche die neuesten Trends und Entwicklungen des Textilmarktes.

Stylisch   Nordisch

wird das große Thema der diesjährigen Handarbeitsbörse sein. Unsere Aussteller präsentieren ihre fantasievollen Entwürfe,Materialien und Modelle. Eigene Ideen und innovative Kreationen bereichern und gestalten die Messestände. In Workshops,Ausstellungen und Vorführungen werden skandinavische Vorlagen und Muster neu interpretiert,werden nordisches Design, Stoffe und Farben traditionell oder auch zeitgemäß umgesetzt.

Stylisch nordisch - das klingt gut. Und die hohe Ausstellerzahl (100!) ließ auf ein vielfältiges Angebot hoffen. Und ein interessantes Publikum erwarten.

Nun, ganz so war es nicht. Produzenten, lokale und regionale Händler, einige Initiativen und einige Designer - diese Mischung fand ich vor. Und bevor ich es alles versuche aufzuzählen was man im   Ausstellerverzeichnis der Handarbeitsbörse Neubrandenburg sowieso nachlesen kann, "meine" Highlights:

  • ich habe mir am Stand von Wolle - online, bei Ingrid und Peter Locke, eine Tiefwirtel-Handspindel gekauft, denn ich möchte das Handspindel-Spinnen einfach einmal ausprobieren.
  • Bei Ralph Traber (Schafwollverarbeitung) aus Neu-Poserin habe ich eine kleine Packung Vlies (natürlich in meiner aktuellen Lieblingsfarbe Purpur) zum Üben gekauft, Ralph Traber und seine Frau haben schon mehrfach den Titel der besten Spinner Mecklenburg-Vorpommerns gewonnen!
  • und dann habe ich mir noch eine feine Tuchfibel gegönnt.
  • Und ich habe mit einer Dame am Klöppelstand des Soziokulturellen Bildungszentrums Neubrandenburg geplaudert und mir das Klöppeln erklären lassen und Ellen Lischewski von "Wolle und Filz" aus Anklam kennengelernt, die zusammen mit Anett Simon aus Groß-Kiesow (auch bei mir in der Nähe) in Anklam im "Anderen Laden" anzutreffen ist.

Im Workshop-Programm habe ich igentlich nichts gefunden was dem Motto "stylish nordish" entspräche. Es wird gefilzt, ein Zopfmuster wird gelehrt, tunesisch häkeln, patchwork, quilten und quilling, vintage und swaroski-Engel, und dann  "double face stricken" an einen Stand. Einige Standnamen ließen Skandinavisches erwarten, aber meine Erwartungen wurden nicht erfüllt. Wenig wenig Nordisches Schwedisches Dänisches - fast gar nichts.

Bei der Modenschau gabs auch nicht wirklich Nordisches zu sehen, junge und nicht ganz junge Damen führten einigermaßen Tragbares vor, aber nordisch? Fehlanzeige.

Bei ähnlichen Veranstaltungen in Lettland, Estland und Anderswo sind auch die Besucherinnen und Besucher besonders gekleidet, tragen stolz eigene Kreationen und Arbeiten, das war hier nicht der Fall. Ab und an mal ein Tuch, aber eine mehrfarbige Jacke oder ein schöner Pullover? Nichts gesehen. Zwei Damen machten mir das Kompliment daß ich die einzige Besucherin sei die entsprechend dem Motto der Ausstellung gekleidet sei - nun, mit estnischen Wadenwärmern und der schönen roten Jacke von Riina Tomberg hier ein Leichtes.

Das Publikum? Wenig junge Frauen, Damen in mittlerem und höherem Alter, begleitende Männer, ein paar Kinder - wir Silberlocken waren eindeutig in der Mehrzahl.

Für Selbermacher: wer farbenfrohe selbstmusternde Sockenwolle sucht, wird hier fündig, Effektgarne in großer Vielfalt, auch Garne für Tücher... Knöpfe, Stricknadeln in Standardgrößen, alles zum patchworken und quilten. Und Züchter bieten Alpaka- und wunderschöne Schafwolle an (ich habe der purpurfarbenen Schafwolle widerstanden!)

Für Modebewußte: An einigen Ständen sah ich sehr schöne Kopfbedeckungen, eine Dame bot sehr schöne Bekleidung aus feinem Wollfilz an (leider nicht in meiner Größe, sonst wäre ich schwach geworden)

Aber Spinnräder, hölzerne Wollwickler oder Garn-Haspeln - nach denen habe ich auch geschaut, jedoch ohne Erfolg. Solche exquisiten Werkzeuge, handgefertigt und nicht aus Plastik - Fehlanzeige.

Mein Fazit? Ohne große Erwartungen hingehen - dann kann  man viel sehen und entdecken.

Wenn in Neubrandenburg, dann auch in die Kunstsammlung Neubrandenburg - das versteht sich für uns von selbst.
Es werden Radierungen von Francisco de Goya gezeigt, die Serien "Launen", "Tauromaquia" und "Desastros de la Guerra".
Vor langer Zeit habe ich diese Zyklen schon gesehen, wahrscheinlich im Prado in Madrid, aber diese kleinformatigen Meisterwerke sind zum Einen zeitlos, zum Anderen brandaktuell. Und sie brennen sich ins Hirn.
"Der Traum der Vernunft gebiert Ungeheuer" - wer stimmt dem nicht zu?

Und die Gräuel des Krieges - unvorstellbar daß die gezeigten Grausamkeiten noch gesteigert werden können. Aber der Mensch ist zu Allem fähig.

Im Hof der Kunstsammlung steht ein Werk, das mich in seiner Leichtigkeit berührt und meine Stimmung wieder aufheitert:

Eine rostige Latte, an ihrer Spitze ein Knäuel aus Draht, biegt sich im Wind.

Das wäre auch etwas für mein Grundstück.

Über die Handspindeln, die Peter Locke so schön drechselt und welche Erfolge ich mit meiner Spindel erziele, das wird sicherlich ein weiterer Beitrag hier auf der Wockensolle werden.