Charlotte Leander, Anweisungen zur Kunststrickerei, 1843

Craft Camp in Olustvere, EstoniaAm späten Nachmittag war Treffpunkt im Hafenterminal für die Teilnehmer des Craft Camps und nach einer runden Stunde Busfahrt kamen wir in Olustvere an. Wir wurden untergebracht im Studentenwohnheim der Kultur-Akademie von Viljandi, die zur Universität von Tartu gehört.  Also Olustvere => Viljandi => Tartu ;=)

Nach dem Abendessen wurden wir noch zu einem Kennenlern-Smalltalk im Grünen eingeladen.

Das alles war recht aufregend für mich, denn nach etlichen Tagen alleine so vor mich hin war ich plötzlich in einer grossen Gruppe. Eine Umstellung.

Vom Ort habe ich noch nicht viel gesehen, aber der Blick auf die Felder ist schon einmal sehr beeindruckend und vielversprechend.

In Olustverre

In Olustvere

Wohnheim der Kultur-Akademie

Ich wollte diesen Tag entweder am Meer, in einem Café oder in einem Park auf einer Bank verbringen, lesen, träumen und stricken. Deshalb bin ich mit dem Bus in den Vorort Kopli gefahren, das ist eine Halbinsel und auf der Karte sah ich auch einige Parks.

Die Fahrt ging durch hübsche Wohngebiete mit netten Holzhäusern, mit in die Jahre gekommenen Wohnblöcken und durch Industriegebiet. Und dann am Ziel war ich enttäuscht. Eine pompöse Meeres-Akademie,

Meeresakademie

Meeresakademie

aber nirgends ein Zugang ans Wasser und die Strassen endeten immer am Schlagbaum eines Firmengeländes (bin 2 Strassen langgedackelt). Dann also Park.

Park in Kopli

Park in Kopli

Ein schöner grüner Park. Aber nirgends eine Sitzbank. Sehr merkwürdig. Zwei Bus-Stationen zurück zur Stadt, wieder ein Park, mit einem hübschen Zaun, Beeten und viel Gras. Und wieder keine Bänke zu erspähen. Sollte nicht sein,

Nach einer Pause in einer Konditorei bin ich dann ins Historische Museum. Im Museumsshop dort habe ich ich noch ein wunderschönes Buch über gestrickte Jacken aus dem Bestand des Nationalmuseums gefunden, und ein Buch über einen estnischen Künstler, Ülo Sooster.

Als ich in den 90ern viel Zeit in Puschkin bei St. Petersburg verbracht habe (auf meiner uralten Webseite avantart.com ist da noch viel drüber zu lesen), habe ich von Yuri Sobolev viel über Ülo Sooster erzählt bekommen.  Beide Dissidenten waren eng befreundet, gehörten zum Kreis der Moskauer Konzeptualisten, verdienten ihr Geld mit Buch-Illustrationen.
In dem Buch über Ülo Sooster wird Yuri auch mehrfach zitiert. Das hat mich sehr gerührt, denn Yuri lebt auch nicht mehr und er fehlt mir.  Wenn ich vom Craft Camp zurück bin, werde ich in Tallinn das Museum für Zeitgenössische Kunst, KuMu, aufsuchen, denn wie ich aus dem Buch erfahren habe, sind dort Werke von Sooster und seinen Kollegen ausgestellt.

Im Toompark unterhalb der Altstadt

Im Toompark unterhalb der Altstadt

Ja, den Rest des Tages habe ich dann im Park unterhalb der Altstadt verbracht. Gestrickt, gelesen, gestrickt. Sehr ruhig war es aber nicht, laut kreischende Möwen und vor allem der Straßenlärm, der vorbeirauscht.
Aber ab Samstag nachmittag wird es ja anders. Dann geht es nach Olustvere.

Da frage ich mich, was ich den ganzen Tag denn so gemacht habe und wenn ich die Photos durchschaue und die Orte, an denen ich war, aufliste in Gedanken, dann war es doch ganz schön viel...

Am Morgen habe ich mich an den Rat eines Freundes gehalten, der meinte, Tallinn sei eine Hafenstadt, da sei doch sicher was zu sehen im Hafen. Ich bin also losmarschiert, immer die Vana-Kalajama-Strasse entlang, vorbei an schönen alten Holzhäusern und dazwischengestreuten Neubauten,  In Tallinn auf dem Weg zum Wasserund dann das: ans Wasser kommt man erstmal nicht, Baustelle! Eine Strasse wird neu gebaut, aber bevor ich umkehren kann sehe ich zwei alte Damen mit Badetaschen, die tapfer durch den Staub laufen und den Lastwagen ausweichen. Also bin ich denen einfach nachgelaufen. Zum Schluß komme ich dann doch noch an das Meer.

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Von hier aus sieht man Kreuzfahrtschiffe am Kai, Fähren, welche nach Helsinki auslaufen oder von dort kommen und es ist wirklich Sommer!

Ein sonnenbadender Russe

Ein sonnenbadender Russe

Dieser Adonis ist höchstwahrscheinlich ein Russe, nur Russen habe ich bisher auf diese Weise Sonnenbäder nehmen sehen... er hat sich 20 Minuten nicht bewegt....

Dann bin ich aber wieder in die Stadt gelaufen, das "Eesti Käsitöö Maja (Estonian Handicraft House)" wollte ich ja unbedingt besuchen. Hier gibt es nicht nur Gestricktes, sondern auch Gewebtes, Stoffe, Bänder, Keramiken, und im Keller das Angebot von drei Textilkünstlern, darunter die Modelle von Riina Tomberg. Ich fand die Kinderjacke ganz entzückend. Riina Tomberg wird auch beim Craft Camp einen Workshop leiten, und ich werde ihre Arbeiten nach der Reise in einer Nachlese noch einmal würdigen.

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Feine Garne

Feine Garne

Die dünnen Garne haben es mir angetan und ich habe je ein Knäuel in weiß (105g, einfädig) und in hellgrau (115g, 5fädig) erstanden, der Preis liegt bei 5,80 €.

Dieses Haus beherbergt nicht nur einen Laden und im Keller die Studios der drei Designer, es gibt auch einen Ausstellungsraum, in dem gerade die Ausstellung "Weiße Spitze aus Seto" zu sehen ist. Obinitsa Setomaa ist die finno-ugrische Kulturhauptstadt des Jahres 2015 und die Häkel- und Klöppelspitzen aus dieser Gegend sind etwas ganz Besonderes.

Weiße Spitze aus Seto

Weiße Spitze aus Seto

Aus Anlaß des Kulturjahres wurde in einem EU-LEADER-Projekt ein Buch mit Mustern und deren gehäkelten Umsetzungen erstellt, das hier auslag und das  man durchblättern konnte. An der Wand hingen größere Arbeiten und in einer Truhe lag feine Klöppelspitze. Die Informationen in dieser Ausstellung waren nicht unbedingt polyglott, ich habe aber im Netz sehr viel Informationen zu diesem Projekt und der Kulturhauptstadt gefunden und werde später in einer Reisenachlese genauer darauf eingehen.

Ich wollte unbedingt noch zur Wollwand kommen, einer Reihe von Wollwaren-Verkaufsständen an der Stadtmauer in der Nähe des Viru-Tores. Hier scheint das Haupteinfallstor für die Touristen zu sein, ein einzigartiges Gedränge und Geschiebe und vielfältiges Sprachgewirr.

Wollwand in Tallinn

Wollwand in Tallinn

Vielleicht bin ich zu kritisch und es war wohl auch zu warm, aber mir gefiel fast nichts. Ich habe wahrscheinlich schon zuviel von diesen kommerziellen Angeboten in Vilnius, Riga und Tallinn gesehen. Einige der angebotenen Pullover oder Jacken sind in traditionellem Muster, aber doch recht grob gestrickt und dann auch recht teuer (wenn ich es z.B. mit meiner Barbara-Isbister-Jacke aus Shetland vergleiche)

Wolljacke im Angebot

Wolljacke im Angebot: sie sollte 75,00 € kosten

Der Preis mag in Ordnung gehen, aber ich stricke mir selbst so eine Jacke.. habe ich mir jedenfalls vorgenommen.  Gegenüber der Wollwand, in der Strasse Müürivahe, gibt es sehr viele Geschäfte mit allem möglichem Souvenierkram. Aber dazwischen eine Perle: Domus Linum! Das Leinenhaus! Ich glaube, Regina, der Wollfrosch wäre hier in ihrem Element!
Neben Gewebtem, Tischtüchern, Stoffen vom Meter, gibt es jede Menge Strickgarn aus Leinen und feinstes Garn für Häkel- oder Strick-Spitze (in etwas größerer Auswahl als im Eesti Käsitöö Maja. )

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Wunderbare Farben

Wunderbare Farben

Ich habe mich mit der Dame im Geschäft lange unterhalten, sie kannte Ravelry nicht und hatte auch gleich angemerkt, daß sie leider keinen Online-Shop hätten (denn dann könne ich länger überlegen und doch bestellen!).  Hier sind auf jeden Fall die Kontaktdaten des Geschäftes:

Domus Linum
Linen Textiless, Linen Yarn, Wool
Müürivahe 31
Tallinn 10140
tel/fax +372 646 4471
domuslinum@gmail.com
Ich habe mir ein Knäuel zweifädiges Garn (890m) in tiefem Dunkelgrün und ein Knäuel zweifädiges Sonnengelb (ca. 650m) geleistet. Und dies sind die Erwerbungen des heutigen Tages auf dem fotogenen Stuhl in meinem Hotelzimmer:

estnisches Spitzen-Garn

Nach einem entspannten Flug in einer fast leeren Maschine bin ich in Tallinn. Ein Taxi bringt mich ins Hotel, das nahe der Altstadt liegt, durch den Bahnhof und eine unschöne Unterführung von den Sehenswürdigkeiten getrennt.

Schön, daß es auch hier Konditoreien mit großer Kuchentheke gibt! Nicht nur Süßes wird angeboten, und so eine kleine Mahlzeit kostet samt Kaffee nur um die 2,00 €, da kann ich mich öfter mal hinsetzen und die Beine ausruhen. Denn Pflastertreten ist wieder angesagt. In der Altstadt liegt alles recht nah  beieinander, und so schieben sich die Touristenscharen durch die Gassen.

In der Altstadt von Tallinn

In der Altstadt von Tallinn, ohne Touristen ;=)

tallinn_2Schön ist es hier, fast zu schön. Herausgeputzt und touristisiert. Es scheint mir, daß hier keine "Einheimischen" mehr leben, nur noch arbeiten. Alles scheint auf die Touristen ausgerichtet, die mit allerlei Mittelalterlichem und Wolligem gelockt werden.

Diese Woll-Dame lockte mich in den ersten Woll-Laden, den ich mir angeschaut habe. Gestricktes, Gefilztes. Die Dame im Geschäft stickte bunte Blumn auf die knalligen Filz-Taschen und erzählte mir von ihren Kindern, die in England leben.

Die Auswahl: Handschuhe, Mützen, Pullover...  Ich habe mich erstmal umgeschaut und überlege, ob ich mir vielleicht später noch einen Pullover kaufe. Die gefallen mir doch sehr. Oder ich stricke mir selbst einen Sweater nach estnischen Mustern? Mal sehen.

Da ich weiß, wieviel schöne Strickbücher es in Estland gibt und wie schwer die bei uns zu horrenden Preisen zu haben sind, bin ich in das erste Buchgeschäft, an dem ich vorbeikam. Ein grosses Antiquariat, in der Handarbeitsabteilung meistens alte russische / sowjetische Handarbeitsbücher, die ich kenne oder nicht haben möchte. Dann aber ein Fang: Das Sockenbuch von Aino Praakli: Estonian Sock Patterns All Around the World, ein schönes Buch in estnischer und englischer Sprache.

Ich habe gelernt, daß man auf Reisen, wenn man etwas Bestimmtes sucht, gleich auf die Suche gehen soll, sonst klappt es vielleicht nicht mehr. Und so habe ich den Rathausplatz voller Koreaner, Chinesen und Japaner hinter mir gelassen, tallinn_5

und ein Taxi genommen, das mich zum großen Buchgeschäft brachte. Der Fahrer, ein Este russischer Sprache, erzählte mir von seiner Soldatenzeit in Brandenburg und von späteren Geschäften mit deutschen Firmen und freute sich, daß ich russisch spreche. Als er mich dann im Shoppingcenter "Viru Keski" ablieferte, in dem die Buchkette "Rahva Raamat" gleich zwei Etagen belegt, konnte er mir nicht auf 10,00 € herausgeben und schenkte mir die Fahrt! Das habe ich noch nie erlebt, und diese Großzügigkeit freut mich doch sehr.

Im Buchladen dann wurde ich fündig.

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Kristi Jõeste: Ornamented JjourneyIch fand das Handschuhbuch von Ainoo Praakli, ein estnisch-englisches Strickwörterbuch und das wunderschöne Buch von Kristi Jõeste: Ornamented Journey

Beim anstehenden Craft Camp habe ich einen Workshop von Kristi Jõeste belegt, Pulswärmer Stricken.

Mein nächstes Ziel wird das Geschäft von Riina Tomberg in der Altstadt sein, wo ihre Strickdesigns verkauft werden. Auch Riina Tomberg wird einen Workshop beim Craft Camp halten.

Ich bin so gespannt!

Und zum Schluß eine Jacke, die  mir ausnehmend gut gefallen hat, nach deren Preis ich aber besser nicht gefragt habe:

Strickjacke und Leinenrock

Strickjacke und Leinenrock

Die Zeit fliegt so schnell und ich habe noch immer die Shetland-Reise im Kopf, da geht es schon auf die nächste Reise!

Ich werde in Riga das Historische Museum und dort natürlich die Textil-Abteilung aufsuchen, im Sena Klets Zentrum vorbeigehen und ansonsten herumspazieren und mich wohlfühlen. 4 Tage bin ich dort, dann geht es nach Talinn in Estland. Dort war ich noch nie!
Auch Tallinn hat strickmässig viel zu bieten: der Wollmarkt in der Müürivahe Strasse,, der von Montag bis Freitag geöffnet hat, die Wollwand am Viru-Tor und viele viele Geschäfte. Lappone hat das in seinem Blog schon ausführlich beschrieben: Tallinn from a knitter's perspective. Ich werde mir das Angebot genau anschauen, aber ich werde sicherlich nicht wieder viele Wolle kaufen, mein Vorrat sollte erstmal reichen! Dafür habe ich aber vor, Strickbücher einzukaufen, es gibt wunderbare Bücher über die verschiedenen estnischen Traditionen.
Eine ganz große Versuchung ist allerdings Karnaluks, der Textiliengroßhandel. Allein das Angebot im Online-Shop ist schon verlockend. Auf der Seite von Knit'n Pearl habe ich die Info über dieses Geschäft entdeckt.

University of Tartu, Craft CampNach drei Tagen in Tallinn beginnt dann das Craft Camp der Kultur-Akademie Viljandi in Olustvere!

Da bin ich doch sehr gespannt! WIeder werde ich Neues lernen und wieder werden sich neue Horizonte öffnen...

Nach der Woche in Olustvere habe ich noch ein paar Tage in Tallinn eingeplant, denn zum Einen findet vom 9. bis 12. Juli das Mittelalter-Festival in der Altstadt von Tallinn statt und zum Anderen möchte ich noch die Möglichkeit haben, Museen zu besuchen, Buchläden zu durchstöbern, falls ich beim Craft Camp noch ein paar Tipps bekommen habe und meine Neugier noch weiter gereizt wurde!

Und natürlich werde ich wieder ein Reisetagebuch hier auf der Wockensolle führen.