Charlotte Leander, Anweisungen zur Kunststrickerei, 1843

Dieses Geschichtchen habe ich ganz besonders gerne für Martine herausgesucht, die die Schul- und Strick-Muster aus vergangenen Zeiten in ihrem Strickloft so geduldig und beharrlich erforscht.

120. Das Strickkörbchen

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Christoph von Schmid

In einem Dorfe konnten die Mädchen nicht einmal stricken und viele gingen barfuß. Der Herr des Dorfes gab nun wohl strenge Befehle, alle Schulmädchen sollen bei der Schullehrerin das Stricken lernen. Allein es wollte nicht gehen. Einige schienen zu ungeschickt dazu; andere versäumten unter allerlei Vorwänden die Strickschule. Von zwanzig Mädchen lernte nur ein einziges hübsch und fertig stricken. Der Schullehrer, der ein sehr verständiger und liebreicher Mann war, dachte: Ich will es doch noch dahin bringen, daß sie alle gerne stricken. – Er verfertigte aus Pappendeckel und schön gefärbtem Papier ein sehr niedliches Strickkörblein und schenkte es der geschickten kleinen Strickerin. Nun wollten alle Mädchen solche Körbchen haben. Allein der Lehrer sagte: Sobald ihr stricken könnt, sollt ihr die Körblein bekommen; denn jetzt nützten sie euch zu nichts. Die Mädchen lernten nun mit großer Begierde stricken – und bald sah man ganze Scharen Mädchen mit ihren Strickkörbchen am Arme durch das Dorf ziehen oder im Grünen beisammen sitzen, die aber alle sehr fleißig strickten. Sie versahen nicht nur ihr Haus, sondern auch die Nachbarschaft mit ihren schönen Arbeiten, und verdienten in Stunden, die sie sonst müßig verplaudert hätten, mit leichter Mühe vieles Geld.

Was manchmal Strafen nicht erzwingen,
Kann durch Belohnung leicht gelingen.

Christoph von Schmid (1768 - 1854): 190 kleine Erzählungen für die Jugend - Kapitel 120,
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